B-Movie, hoffnungsfroh
Einundzwanzig Jahre alt ist Helene Hegemann, Drehbuch- und Hörspielautorin, Verfasserin eines durch Plagiat-Vorwürfe gepushten und umstrittenen Erfolgsromans und jetzt auch Musiktheaterregisseurin und –librettistin. Die Kölner Oper und der Fond Experimentelles Musiktheater haben Hegemann mit der Dramaturgin Janine Ortiz und dem Komponisten Michael Langemann zusammengespannt.
Musik heißt das Objekt der Gemeinschaftsarbeit, basiert auf dem gleichnamigen 1908 uraufgeführten Stück von Frank Wedekind und wurde von Hegemann liebevoll-prätentiös mit dem Untertitel „I make Hits Motherfucker“ versehen.
Bei Wedekind geht es vor allem um Gesellschaftsanalyse und –kritik. Um Darstellung von Doppelmoral, um den Blick auf das bürgerliche Leben als Heim, aber auch als Arrestzelle. Das wird anhand einer Dreiecksgeschichte erzählt. Der mit Else verheiratete Musikprofessor Josef verliebt sich in seine Schülerin Klara, lässt sie bei sich einziehen, macht ihr ein Kind, lässt dieses abtreiben, schmeißt das Mädchen raus, was ihren geistigen Zustand angreift, holt sie wieder zurück, macht ihr noch ein Kind. Klara geht aus eigenem Willen weg. Das Kind stirbt.
Der Stoff ist heute ohne Brisanz. Was Hegemann daraus macht, ist dennoch spannend. Sie nimmt nichts als das Gerippe und die Stoßrichtung des Dramas, kürzt extrem, schreibt neu, klingt ganz aktuell. Gloria Rehms Klara ist ein Mädchen von heute, mit unheimlich großem, aber, ach, so leicht zu erschütterndem Selbstbewusstsein. In ihrer Beziehung mit Else und Josef geht es um Macht, Gier, vor allem um Besitz. Else ist bei der Schauspielerin Judith Rosmair bezwingend eine durch emotionale Dürre in die hedonistisch ausgelebte Oberflächlichkeit gedrängte Frau, Josef bei dem lyrischen Bariton Henryk Böhm eine große Leerstelle, ein reizloser Sich-Befriediger auf etlichen Ebenen.
Bühne, Bildprojektionen und Kostümentwürfe von Janina Audick betonen Extravaganz und Möchtegern-Individualität der Beteiligten und kippen manchmal auch ins Surreale. Die Filme von Kathrin Krottenthaler treiben die Beteiligten in Abgründe und Exzesse, besonders die als Filmdarstellerin unerhört talentierte Gloria Rehm. Dazu spiegeln und illustrieren fünf Tänzer das Geschehen. Hegemann stellt diese Komponenten in ihrer Inszenierung nebeneinander, legt sie selten übereinander, verzahnt sie nie. Ihr ist nicht an Dynamik oder Entwicklung gelegen, sondern an Haltung oder Einstellung. Die ist rotzig, direkt wie in alten B-Movies, und sich ihrer Möchtegern-Coolness angenehm bewusst. So jung wie altklug wirken der Zitatenwust aus Popkultur zwischen Punk, Dylan und Gwen-Stefani-Videoclips, der Umgang mit der Idol-Idee, die Rückverweise auf das Jahr 1908, die Querverweise auf Wedekinds andere Stücke, besonders auf Lulu. Dabei muss die Regisseurin teilweise ihrer mangelnden Erfahrung Tribut zollen, vor allem in den langen Sprechszenen, in denen Rehm und vor allem Böhm, viel zu konventionell geführt, als Opernsänger gegen die renommierte Schauspielerin Judith Rosmair gar nicht ankommen können. In den Gesangszenen, die stellenweise fast wie Fremdkörper wirken, liefern beide ideale Leistungen ab, ergänzt durch Dalia Schaechters Mutter, die hübsch als Operndiva ausgestellt wird und John Heuzenroeder als Elses Gönner und Liebhaber mit Lacoste-Krokodil-Tattoo auf der nackten Brust.
Die Musik verkommt in diesem multimedialen Ausdruckswust ein wenig zum Soundtrack. Und das ist – trotz der bemerkenswerten Leistung des Gürzenich-Orchesters unter dem souveränen Walter Kobera – sehr begrüßenswert. Denn was Michael Langemann da als Uraufführungskomposition abliefert, ist nicht wirklich hörenswert, eine halbgare, oft klumpige Melange aus Spät- und Postromantischem zwischen Wagner, Strauss, Berg und Britten, garniert mit beifallsheischenden Geräuschmodulen. Der jungen, zielbewussten Ästhetik Helene Hegemanns und ihrer Mitstreiterinnen möchte man gerne wieder begegnen, dieser Musik sicher nicht!