Etwas schmalbrüstig in Mönchengladbach
My Fair Lady, das berühmte Musical von Frederick Loewe nach Pygmalion von George Bernhard Shaw, ist ein gesellschaftskritisches Stück über "die da oben und die da unten", verpackt als Komödie über eine hoffähige Sprache und ein entsprechendes Benehmen. Shaws Schauspiel wie auch das Musical von Loewe haben viel hintergründigen Witz und Spitzigkeit, sie spielen im unterschiedlichen Milieu der niederen Straße und der feinen Gesellschaft, lassen grobschlächtige einfache Leute neben feinen Herrschaften der Oberklasse bei Pferderennen, Tanzvergnügen und Nachmittagstee agieren. Und zeigen, wie man allein durch Unterricht aus diesem Milieu hochkommen kann, um schließlich selbst Sprachunterricht zu geben. Ein Stück also der Kontraste und der subtilen Ironie.
Okarina Peter und Timo Dentler haben für Regisseur Roland Hüve eine Art Zirkusarena nachgebaut, mit flackernden Lichterketten und einer Drehbühne mit großer Zwischenwand, welche die niedrige Welt der Straße von den höheren Arealen des Daseins trennt. Die im ersten Akt auch prompt ihren Geist aufgab, sah man doch schwarz gekleidete Bühnenarbeiter hin und her flitzen; in der Pause konnte die Technik dann jedoch erfolgreich repariert werden. Auf der feinen Seite standen immerhin einige Möbelstücke und ein Grammophon als Zimmer von Higgins und für die Teezeremonie mit seiner Mutter herum, dafür umso weniger auf der arg ambientearmen Straße. Zum einen preiswert und für schnellen Szenenwechsel praktikabel, zum anderen aber auch ein Symbol für die sich drehenden gesellschaftlichen Veränderungen. Nur - die starke Vermischung der Protagonisten und der Spielebenen raspelt die Ecken und Kanten des Stücks ein wenig rund; der Shawsche Biss kam nicht recht über die Rampe. Was allerdings auch an der teilweise etwas schlichten Personenführung und vor allem der Choreografie lag. Obwohl das Ballettensemble von Robert North noch einigermaßen ansehnlich agierte, erinnerten die „Tänzchen“ der Sänger auf der Straße und in der Kneipe schon arg an Volksbrauch. Auch szenisch gab es kleine Minuspunkte und vertane Möglichkeiten. Trotz Drehbühne waren die einzelnen Nummern und auch der Zusammenhang der Personen ein wenig auseinandergerissen, beim Pferderennen hörte man nur die Startglocke, leider aber nicht das Hufgetrappel quer über die Bühne; die technischen Möglichkeiten dürften doch wohl dafür da sein. Kein Wunder, dass die Zuschauer des Rennens auch nur in eine Richtung schauten anstatt mit den Augen und mit dem Kopf mitzugehen. Originell hingegen die Szene beim Tee in der Loge von Mrs. Higgins, wo die Papp-Pferdchen vorbeiziehen oder die hinter ihren Papp-Blumenkästen aus dem Fenster schimpfenden Nachbarn ob des Lärms auf der Straße.
Ja, wenn diese großartige Musik und die Ohrwürmer nicht wären, die über manche Unzulänglichkeit hinwegsehen bzw. -hören lässt. Ein Pluspunkt des Abends waren die Niederrheinischen Sinfoniker unter Andreas Fellner. Der Maestro hielt seine Musiker zu packendem Spiel an, zu viel Drive und Farbigkeit, wenn auch die Lautstärke gelegentlich die Sänger etwas überdeckte - trotz deren Mikroports. An der bemängelten Verständlichkeit der Übertragung bei der Premiere hat man wohl noch etwas nachjustiert - das war jetzt brauchbar. Auch die Darstellung der Titelfigur in der besuchten zweiten Aufführung durch das Ensemblemitglied Susanne Seefing - es war ihr Rollendebut - überzeugte sehr, quirlig agierte sie zwischen den älteren Herren, der feinen Gesellschaft und dem Volk auf der Straße, mit beweglichem hellen Sopran, sicherer Höhe und Berliner Dialekt, den der Regisseur verordnet hatte. Die berühmten Sprachübungen mit den „grünen Gärten Spaniens“ und den „Krähen in der Nähe“ waren allerdings sehr überzeichnet, wenn auch zur großen Freude des Publikums. Rührend dann die Szene, wo es auf einmal klappte mit den "Ü"s. Markus Heinrich als Higgins fehlt ein wenig die vornehme Feinheit der Figur; auch Pickering hätten etwas mehr Noblesse und eine akzentuiertere Sprache gut getan, wie man sie bei Johanna Lindinger genussvoll vernehmen konnte. Von Kopf bis Fuß eine Lady in Bewegung und Ausstrahlung – aber sie hat es auch leichter, sie ist Schauspielerin. Debra Hays als Hausdame von Higgins spielte und sang ihre Rolle überzeugend, spricht allerdings mit deutlichem amerikanischen Akzent - ob sich der echte Higgins das hätte gefallen lassen? Der Müllkutscher und Elizas Vater Alfred (Hayk Dèinyan) gibt der Figur einen bärbeißigen, durchaus passenden groben Touch, teilweise aber auch arg überzeichnet, ebenso wie seine beiden Kumpel von der Straße Harry und Jamie. Sein nicht näher definierbarer Dialekt war wenig verständlich. Gesanglich gefiel Rafael Bruck als Verehrer von Eliza ausnehmend gut. Der Chor war stimmstark und präzise wie immer (Maria Benyumova und Ursula Stigloher), ein wenig mehr Schauspielerei und Bewegung hätte ihm jedoch gut getan.
Insgesamt ist dem Hause kein nennenswerter Wurf gelungen, allenfalls eine nette Vorstellung mit durchweg sehr achtbaren Gesangsleistungen und in hübschen Kostümen. Dem ausverkauften Hause gefiel die Vorstellung jedoch ausnehmend gut, wie es zahlreiche Lacher, häufiger Zwischenapplaus und ein begeistertes Jubeln zum Ende zeigten. Dann ist es auch gut so.