Wo man zum Walzer Tango tanzt
Da muss sich der Piccolo beeilen: Auf der Leine hängen noch die frisch gewaschenen rot-weiß-karierten Tischdecken und im Biergarten vorm Weißen Rössl ist noch nichts fertig. Denn schon tutet der Ausflugsdampfer, der Touristen über den Wolfgangsee bringt. Da muss vor allem noch die Idyllmaschine bedient werden, die nicht nur in der Lage ist, einen riesigen Postkartenrahmen um die Bühne zu legen, sondern auch landschaftliche Traumbilder zu zaubern. Das nutzen die Akteure den ganzen Abend über weidlich aus.
Regisseurin Susi Weber nimmt den Revue-Charakter des Rössl beim Wort und inszeniert alle Musiknummern sehr eigenständig - und das mit überraschenden wie gleichermaßen komischen Ideen: So wird aus „Mein Liebeslied muss ein Walzer sein“ plötzlich ein erotischer argentinischer Tango. „Im Salzkammergut da kann man gut lustig sein“ mutiert zu einer massiven Drohung an den ewig mäkelnden Berliner Fabrikanten Wilhelm Giesecke, sich bitte schön endlich in die Urlaubsidylle einzufügen. Aber auch abseits der Nummern ist in diesem quirligen Sommerparadies immer irgendetwas los. Ob der putzmuntere Kellnerlehrling sich in ein adrettes Stubenmädchen verwandelt oder der greise, marionettenhaft agierende Kaiser Franz Joseph auf einer Sackkarre hereingebracht wird - Weber fällt immer etwas Neues ein. Und wenn die Kathi von der Post statt zu jodeln das Auditorium mit einem Megafon beschallt, ist richtig was los im Paderborner Theater. Genau in diese Atmosphäre passen das schön-kitschige Pappmaschee-Alpenpanorama Luis Graningers und die flotten Kostüme Isabel Grafs.
Weber und ihrem spielfreudigen Team auf der Bühne gelingt ein feiner Tanz auf dem dünnen Seil zwischen Show-Act, Ironie, Schenkelklopfen und Klamauk, wenn es auch ein wenig mehr an Ironie hätte sein können, die ja eigentlich im Stück überall hervorlugt.
Das wirkliche Ereignis dieses Rössl ist aber die musikalische Fassung: eine fünfköpfige Combo bringt die Musik ganz im Stile einer Showband in einem kleinen Revuetheater – mit einer Menge musikalischer Zitate. Das ist alles schlank, voller Rhythmus und in seiner Geschlossenheit einfach bestechend. Und die Posaune kann sogar eine Kuh!
Die Operettenseligkeit früherer Jahre, die das Weiße Rössl hatte Patina ansetzen lassen, wirkt wie weggeblasen. Herrlich, wenn der verliebte Kellner Leopold sein „Es muss was wunderbares sein, von dir geliebt zu werden“ im Gewand einer heißblütigen Rumba gibt. Lars Fabian verkörpert diesen Leopold weniger als österreichischen Kellner denn als Großstadtgigolo der dreißiger Jahre. Das passt ebenso gut zu Webers Inszenierung wie die durchaus zickige Rösslwirtin Kirsten Potthoffs.
Irgendwie haben Benatzkys Figuren alle einen Spleen. Und das arbeitet das mit offensichtlich großem Spaß agierende Paderborner Ensemble köstlich heraus. Bernhard Schnepf als verhuschter Professor, Alexander Wilß als Fabrikant mit Berliner „Freundlichkeit“, Lena Münchow und David Lukowczyk als so selbstbewusstes und in Liebesdingen doch so schüchternes Paar, Stephan Weigelin als glatzköpfiger Frauenheld Sigismund und Lina Sophie Weide als sein lispelndes Klärchen sind genauso ein Augen-und Ohrenschmaus wie Linda Meyer als vorlauter Piccolo und Jennifer Münch als Kathi.
Ein Abend mit viel Lachen und großem Applaus im Theater Paderborn!