Eine der Opern aller Opern
Da Intendant Jens-Daniel Herzog Carmen am 19. Januar selber in Hamburg inszenierte, kam er für die Produktion am Dortmunder Haus nicht infrage. Seine Arbeit wurde als „spannend und einfühlsam“ bezeichnet, aber auch als „handzahm“ und „reichlich konventionell“. Was nun ist zur Dortmunder Regie von Katharina Thoma zu sagen? Auch sie ist konventionell ausgefallen, und sogar auf eine beschämend klägliche, peinliche Weise.
Es fängt mit dem Bühnenbild (Julia Müer) an. Der 1. Akt ist architektonisch unambitioniert gestaltet, im 2. und 4. Akt dominieren nüchterne Stellwände, wie von einem Baumarkt aussortiert. Das Gebirgsbild prägt eine Art Grenzbefestigung, eine Lösung nicht ohne Sinn, aber gänzlich atmosphärelos. Die Katastrophe des Finalbildes wird dem Zuschauerauge übrigens erst nach Hochziehen eines Zwischenvorhangs preisgegeben, vor dem sich das Volksleben Sevillas in einer grotesk einfallslosen Rampensingerei abgespielt hat
Der Chor ist überhaupt ein zentraler Schwachpunkt der Inszenierung. Kompakt steht er herum, meist sogar brav symmetrisch. Es werden synchron die Hände gereckt, es wird synchron gewunken, synchron gestikuliert. Regieanweisung vermutlich: und jetzt alle mal zusammen. Synchron läuft auch sonst vieles ab. Bei den Dur-Passagen des Sextetts etwa entledigen sich die Damen wie auf Kommando ihrer Oberteile und stehen im BH da. Jetzt weiß also auch der infantilste Zuschauer, was demnächst ansteht. Und da Carmens Kartenarie in Thomas‘ Vorstellung wohl nicht genügend nachvollziehbar ist (trotz Übertitel), muss eine Statistin, welche in den anderen Bildern bereits als Bettlerin herumgeistert, mit einer Todesmaske auftreten. Der Tod und das Mädchen, symbolhafter Nachhilfeunterricht bei einer so unzugänglichen Oper wie Carmen. Nicht unerwähnt bleiben darf der Einfall der Regisseurin, dass Micaela am Ende des 3. Aktes irgendeiner Verwundung erliegt. O je, o je, wie rührt mich dies, kann man da nur sagen.
Dort, wo es Charaktere zu formen gälte, wo es zwischen den so heterogenen Figuren zu flammen hätte, versagt Katharina Thoma auf ganzer Linie. Wenn einem jemand sagen würde, Carmen hätte ihn gelangweilt, man würde ihm nicht glauben. In Dortmund wird das Gegenteil bewiesen. Und im Schlussbeifall auch nicht die leiseste Andeutung von Protest.
Mit den Sängern ist es auch so eine Sache. Ileana Mateescu war umwerfend als Dorabella und vor allem als Ottone (in Monteverdis Poppea) zu erleben, sängerisch und in der femininen Erscheinung. Aber der letztgenannte Vorzug kommt der Carmen nur bedingt zugute, denn ein (in Josés Worten) „Teufel“ erschöpft sich nicht in eleganter Attitüde, und ein lyrischer Mezzo ist für Bizets Rasseweib einfach zu wenig. Christoph Strehl gefällt nachhaltig als außerordentlich präsenter José-Darsteller, aber er kommt an (akzeptable) stimmliche Grenzen. Bei Christiane Kohls Micaela ist dies wahrlich nicht der Fall, aber ihrem Porträt fehlt eine nicht unwichtige mädchenhafte Komponente. Solide, aber ohne besondere Ausstrahlung: Morgan Moody als Escamillo. Bleiben noch die allesamt kregeligen Porträts von Anke Briegel (Frasquita), Aglaja Camphausen (Mercédès), Stephan Boving (Dancaire) und Fritz Steinbacher (Remendado) zu erwähnen.
Last, aber wahrlich not least: Gabriel Feltz, der Dirigent, welcher zuletzt mit Tannhäuser Furore machte. Er gibt Bizets Musik nervige Prägnanz und dramatischen Furor. Ein paar agogische Eigenwilligkeiten (so das Orchester vor der finalen Begegnung Carmen/José) überraschen zunächst, überzeugen dann aber dramaturgisch. Kompliment auch an den Chor und die Kinder der Chorakademie Dortmund (aus deren Reihen die Kölner Oper schon mehrfach wunderbare Rollenvertreter für die Partie des Miles in Brittens Turn oft he Screw rekrutierte) sowie die Dortmunder Philharmoniker. Gespielt wird die Dialogfassung, natürlich in französischer Sprache.