Übrigens …

Vom Mädchen, das nicht schlafen wollte im Theater Duisburg

Mit Theaterinstinkt

Ein Kuss zur rechten Zeit rührt immer noch die Herzen. Auch die von 11- bis 13jährigen, die zur Vormittagspremiere von Vom Mädchen, das nicht schlafen wollte das Duisburger Theater füllte. Und die Darsteller so feierte, dass das ehrwürdige Haus momentweise einsturzgefährdet wirkte.

Der renommierte Kinder- und Jugendbuchautor Martin Baltscheit hat ein wirkungsstarkes „Original-Drehbuch“ geschrieben, in dem offenbar vieles steckt, was Menschen an der Stelle zur Pubertät interessiert: Lena und Leander sind befreundet. Beim Spielen tötet Leander aus Versehen einen Vogel. Er erzählt der bei dessen Anblick entsetzten Lena, das Tier schliefe nur und könne von einer Prinzessin ins Leben zurück geküsst werden. Lena bekommt in der Folge die Begriffe nicht mehr sortiert und weigert sich zu schlafen – aus Todesangst. Um den Schlaf wiederzufinden macht sich Leander mit ihr auf eine Reise, an dessen Ende Kuss und Happy-End stehen. Balscheits Text erzählt klar und rationell und hat große Stärken im sensiblen Umgang mit dem Thema „Tod“.

Diese Vorlage nimmt Johannes Schmid professionell auf, erzählt schlüssig und legt so, wie aus Versehen, auch die wenigen Schwächen des Librettos bloß. Leander ist einfach ein nicht uncooler aber doch recht eigenschaftsloser, „Junge an sich“. Lena dagegen darf „beschissen“ und „bescheuert“ singen, was das junge Publikum sehr freut und ist auch sonst viel stärker individualisiert und als alleinige Identifikationsfigur gesetzt. Vor einigen Hürden verweigert die Regie auch einfach. Was „Arbeit“ ist, wie schwer das fällt, wie gut das tun kann, kann man nicht zeigen, wenn man Leute einfach ein paar Bretter hin- und hertragen lässt.

Hier wäre auch die Musik von Marius Felix Lange gefordert gewesen. Die zeichnet sich zwar durch großen Theaterinstinkt aus, ist aber hauptsächlich damit beschäftigt, ohne hörenswerte Innovationskraft einem spät- bis nachromantischen Klangideal nachzueifern. Das zeigt sich besonders an den beiden schönen, aber viel zu ausladenden Intermezzi und an den mit viel zu viel Richard-Strauss-Parfum versetzten Mittelstimmen, die oft den Sängern ihre Arbeit erschweren. Stimmungen malen hingegen kann Lange und wenn er mal mit Distanz zu seinen Vorlieben arbeitet, wird es richtig toll, etwa im Umgang mit Volksliedern, oder im hinreißenden Duett Lenas mit dem Mond. Da schreibt der Komponist sogar mal eine Melodie – statt immer nur hübsch deklamierter Phrasen.

Schön sind die Bilder Tatjana Ivschinas, eine große, zweidimensionale Fachwerkkleinstadt und viele, dankenswerterweise ihr Künstlichkeit nie leugnende Naturversatzstücke. Hinreißend ist die musikalische Umsetzung. Lukas Beikircher gibt Langes Romantik-Zuckerguss da Struktur, wo es notwendig ist und betreut die Sänger wie ein guter Trainer. Und die singen und spielen mit Höchsteinsatz und Charme, angeführt von der umwerfend charmanten Alma Sadé und dem coolen und doch verletzlichen Dmitri Vargin als Lena und Leander. Dazu liefern Elisabeth Selle als koloratursatte Waldprinzessin, Günes Gürle als sinistrer Totengräber und vor allem Florian Simson als guter, verschrobener Mond konzentrierte, schön ins Satirische spielende Charakterstudien.

Mit dieser Produktion eröffnet die DOR ihre „Junge Opern Rhein-Ruhr“ – Kooperation mit den Theatern Bonn und Dortmund zum Austausch hochwertiger Musiktheaterproduktionen für junge Menschen. Kein übler Beginn!