Überfällige Wiederbelebung
Der Komponist Ernst Krenek (1900-1991) ist ein großer Unbekannter auf unseren Bühnen geworden. Der Jazz-Oper Jonny spielt auf, vor 85 Jahren ein Welterfolg, haftet ein Hautgout von früh-populärmusikalischen Mottenkugeln an. Dabei erfreuen die wenigen Inszenierungen – zuletzt am Landestheater Salzburg – regelmäßig Zuschauer und sogar Kritiker. Kreneks Hauptwerk, die Zwölftonoper Karl V. ist aufwendig und spröde, wird deshalb kaum je gemacht, aber ist vielleicht doch lohnender als ein x-ter Parsifal oder Tannhäuser.
Zumindest sein 1928 uraufgeführtes Einakter-Triptychon war jetzt mal wieder zu sehen: in einer Aufführung der Kölner Musikhochschule unter dem Titel „Musik gegen alle Fronten“.
Um es vorweg zu nehmen: Das Hervorholen der Rarität hat sich gelohnt. Es treffen innerhalb einer Art Dreieck (Mahler – Schönberg – Strawinsky) Neue Sachlichkeit und Symbolismus aufeinander. Die Partituren sprühen vor Zitierlust. Sekundenschnelle, oft nur taktlange Anspielung blitzen aus Text und Partitur heraus und spießen Romantisches und Modernes auf, besonders gern und treffend aber die Opern von Richard Strauss.
Krenek war so etwas wie ein sozial engagierter Konservativer. Das merkt man seinen Sujets deutlich an. Der Diktator etwa ist ein Vierpersonenstück über einen Tyrannen, der selbst im noblen Schweizer Urlaubsort einen Krieg anzettelt. Maria, die Frau eines kriegsversehrten Soldaten, will den Diktator aus Rache umbringen, erliegt aber seinem Charme. Als dessen angewiderter Gattin nun die Ermordung übernehmen will, wirft sich Maria dazwischen und wird erschossen.
In der Burleske Schwergewicht oder die Ehre der Nation geht es um einen dummen Boxer, die Medien, Untreue und ein Fitnessgerät. Komplex ist die Dramaturgie des stärksten Stückes, Das geheime Königreich. Hier ist eine Rebellion im Gange, ein König wird von Selbstzweifeln geplagt, seine Frau giert nach der Krone, ein Narr ist Teil des Spiels und gleichzeitig eine Art Moderator. Am Ende verwandelt sich die Königin während der Kopulation mit dem Rebellenführer in einen Baum. An diesem will sich der lebensmüde König aufhängen, wird aber von seines Weibes Stimme abgehalten, erkennt die Schönheit der Natur und findet inneren Frieden.
Das sind krude Stoffe, die nach Künstlichkeit der Darstellung verlangen – und nach einer Betrachtung von heute her, einer Frage nach aktueller Macht- und Protest-Kultur. Das ließe sich mit dem klaren, aber nicht unkonkreten Raum, den Detlev Beaujean nur mit gerippten Stellwänden und wenigen Objekten und Podesten bestückt hat, durchaus machen. Reggisseur Igor Folwill neigt aber eher der ästhetischen Position seiner Kostümbildnerin Angela C. Schütt zu. Er ertränkt die brav aber nicht immer verständlich nachbuchstabierten Geschichten in Weihnachtsmärchen-Klischee-Realismus mit Ausritten in die Fantasy-Ästhetik. Da trägt der König Hermelin, der Journalist Trenchcoat, der Boxer einen Muscle-Suit und der Rebell Khaki, Barett und Maschinenpistole. Keine Doppeldeutigkeit, kein Geheimnis, kein wilder Witz. Nirgends. Nur beim Narren. Der trägt die Visage von Batmans Gegenspieler Joker. Und ist in den ersten beiden Stücken schon als stummer Diener präsent. Frederik Schauhoff zeigt begeisternd, was in dieser sich nicht leicht öffnenden Musik alles steckt. Trotz seiner Jugend ist die Stimme schon perfekt platziert, man versteht jedes Wort von seinem Text. Spieltrieb, Körperlichkeit, Beweglichkeit und Musikalität deuten auf eine große Karriere hin. Überhaupt: Hochschulabend. Da späht man automatisch nach Sänger-Talenten, die man vielleicht mal in zehn Jahren wieder sieht, in Berlin vielleicht oder zumindest in Bielefeld. Bestimmt ihren Weg machen wird Hiltrud Kuhlmann, die der Maria einen sehr individuellen, unforcierten Seelenton mitgibt. Wahrscheinlich auch Katharina Penner, die quirlige Boxersgattin und Hyun Jin Kwon, die machtgeile Königin mit leichter Koloratur und den für ihre Rolle existenziellen körperlichen Vorzügen. Und Anne Heffner, die mit starkem Mezzo-Fundament und großem Spieltalent das spätpubertäre Boxer-Groupie gibt. Chistoph Bier leistet als König Gültiges, wirkt aber als Diktator farblos angestrengt und bleibt oft in den Orchesterwogen hängen.
Die hat Stephan E. Wehr vor allem im Diktator nicht immer im Griff. Steif klingt es da, unflexibel, im Bläserbereich auch schon mal einfach laut. Das kann aber auch an der schmucklos harten Akustik des Musikhochschulen-Konzertsaales liegen. Im Schwergewicht geht es schon besser. Besonders die vielen Tanzrhythmen kommen wunderbar zur Geltung. Im Königreich wird dann – bis auf wenige aufrauschende Klangklumpen – frei und delikat musiziert. Hier gelingt es Wehr, intensive Stimmungen zu erzeugen, mit den in allen drei Stücken sehr starken Violinen im Zentrum.
Gerade das Geheime Königreich schreit geradezu nach der großen Bühne – und nach einem Klasse-Orchester!