Verrücktes Ding
Vor 30 Jahren hat der – von Loriot entdeckte, im Haffmanns-Verlag und für Titanic tätige – Wuppertaler Autor Eugen Egner seinen psychedelischen Retro-Science-Fiction-Roman Der Universums-Stulp geschrieben, die durchgeknallte Beschreibung einer Identitätskrise. Jetzt ist daraus ein Musiktheater geworden. Egner hat selber zusammen mit dem Komponisten und dem Regisseur das Libretto verfasst. Und die Kunststiftung NRW begeht mit der Förderung der extravaganten Produktion ihr 25jähriges Jubiläum.
Die Musik von Stephan Winkler ist, dem Anlass angemessen, außergewöhnlich. Vor allem ist sie zusammengesetzt aus mehreren Komponenten. Auf der Bühne musiziert das begnadete ensembleMusikfabrik. Hier wird eine Klanglinie beschrieben, eine unruhige, an die Nerven gehende Fieberkurve, mal seriell inspiriert, mal clusterhaft, mit schön modellierten kammermusikalischen Momenten für das sensible und/oder fortgeschrittene Ohr. Dazu kommen Zuspielungen vom Band, meist Stimmen, Geräusche und synthetische Klänge. Diese werden über Lautsprecher hinter dem Zuschauerraum gleichsam projiziert, so dass im Publikum eine Art Surround-Effekt entsteht, die Klänge sich durchdringen, ohne sich zu vermengen. Auch die Sänger sind von dieser Methode nicht ausgenommen. Mal bewegt einer nur die Lippen und seine Stimme kommt vom Band, mal singt eine im Ensemble mit sich selbst und einmal, hier kann man fast von Arie sprechen, singt einer nur Vokale. Die Konsonanten vom Band bauen daraus einen Text. Das alles ist originell, teilweise auch anstrengend, aber von einer erstaunlichen Vitalität.
Der Regisseur Thierry Bruehl hat anfänglich durchaus Schwierigkeiten all das in gradlinige Bahnen zu lenken. Die Geschichte vom drogensüchtigen Autor Traugott Neimann, der keine Drogen mehr nehmen darf und daher nicht mehr schreiben kann, ist dafür aber viel zu wirr. Beispiel gefällig? Neimann verliebt sich in den Ex-Kinderstar Mona Zwanzig, die ihm vom Papst abspenstig gemacht wird, der in China eine Art Exil-Christentum begründet hat. Um Mona zurück zu gewinnen, lässt Neimann sich unter anderem von einer Ente in einen Brotaufstrich verwandeln. Später wird er in eine Buchkatalog-Software eingespeist und verliert also wieder seinen Körper. Außerdem spielt der ‚Ganghofer‘ immer wieder eine Rolle, ein Gerät zur Materialisierung von Wunschwesen – und Thalia Fresluders Hilfeinstitut, das alles immer schlimmer macht.
Im ersten Teil verliert sich Bruehl in verkleinerndem Nachbuchstabieren, baut zu wenig grelle Bilder, bietet einfach zu wenig Spektakel. Nach der Pause nutzt er die Vorgaben von Text und Musik besser. Die Bilder von Bart Wigger, Tal Schacham und Wiebke Schlüter sind nicht spektakulärer, aber klarer, passen jetzt besser zu den Graphic-Novel-Filmschnipseln von Philippe Bruehl. Es gibt einfach weniger Klein-Klein. Jetzt tritt die Hauptfigur, aufgespalten in den lyrischen Bariton Olaf Haye und den robusteren Andreas Jankowitsch in den Mittelpunkt, werden ihre Wechsel, ihre „Begegnungen“ zelebriert. Und ganz zwanglos entsteht – Theater.
Der Universums-Stulp ist eine große Anstrengung des Wuppertaler Theaters. Und sie hat sich gelohnt. Nach der Premiere tobt das Publikum vor Begeisterung, feiert das ungeheuer lebendig musizierende und mitspielende ensembleMusikfabrik samt Dirigent Peter Rundel und die hauseigene Solistenriege, angeführt von Haye, Jankowitsch und Uta Christina Georg, die der Thalia Fresluder einen ungeheuer schönen, mehrfach gesampelten Mezzosopran mitgibt.
Hoffentlich wird dieses schöne, wilde Stück irgendwann mal von einem großen Haus nachgespielt!