Der Traum ein Leben im Bonn, Theater

Ein Märchen aus/über dunkle(n) Zeiten?

Unmittelbar nachdem die Nazis in Deutschland die Macht an sich gerissen hatten, wurde Walter Braunfels kaltgestellt, aus allen Ämtern entlassen. Der Komponist (ein sogenannter „Halbjude“, geboren 1882, gestorben 1954) ging nicht ins Exil – sondern in die innere Emigration. Und komponierte in den Jahren von 1933 bis 1937 seine Oper Der Traum ein Leben nach Franz Grillparzer. Eine Märchenoper durch und durch, gar keine Frage. Aber vielleicht mit der Andeutung einer politischen Aussage in dunkler Zeit. Denn unser Opernheld Rustan, der doch eigentlich in ganz ordentlichen und komfortablen Verhältnissen lebt und mit ihnen womöglich glücklich werden könnte, lässt sich ein auf die Einflüsterungen seines Dieners Zanga: Rustan sei zu Besserem, Höherem berufen, verdiene eine Königstochter zur Frau und wahre Macht über ein ganzes Volk. So weit der Ausgangspunkt der Oper im realen Leben. Was dann folgt, ist erst einmal ein Schlaf - und ein langer Traum. Rustans Traum von eben jener Macht, hinterhältig erkauft durch Lüge und Mord. Wie Tamino in Mozarts Zauberflöte schwindelt Rustan auf Zangas Geheiß, er habe eine Schlange erlegt, die den König von Samarkand bedroht hatte. Der wahre Retter („der Mann vom Felsen“) wird kurzerhand erdolcht. Im zweiten Teil des Traums ist der König, dem inzwischen Zweifel an Rustans Heldentat kommen, selbst das Opfer, leert er doch einen Becher Weins, in den Gift gemischt ist. Das Volk, das auf Rustan gesetzt hat, wird gleichfalls misstrauisch, schließlich wird dieser als Mörder enttarnt. Dann tönen Glockenschläge vom Turm herab: Rustans Schlaf endet, sein Traum indes noch nicht ganz. Er erkennt seine Fehler, seine Lügen, seine Morde – aus dieser Zwangssituation heraus stürzt er sich in den nahegelegenen Fluss.

Die Moral von der Geschicht’? Vielleicht diese: greife nicht zur Macht um den Preis von Mord und Totschlag...

Aber diese Moral spielt in Jürgen R. Webers kunterbunter Inszenierung keine Rolle. Weber erzählt wirklich ein Märchen mit traum-haften Figuren in prächtigster Ausstattung, mit psychedelischem Licht, mit lustigen Effekten wie stummfilmartig angelegten Kommentaren zum Bühnengeschehen („Drachen-Töter-Verwechslung“ oder „Protest-Kultur-Maßnahme“), mit monströsen Tier-Attrappen wie Nashorn oder Nilpferd, mit pyrotechnisch aufgepeppten Momenten. Das wirkt unterhaltsam, bisweilen aber etwas übertrieben. Und manchmal ziemlich abgegriffen wie das in den Schnürboden hochgezogene Gitterbett, in dem Rustans Traum seinen Lauf nimmt. Auch manche Symbolik wie die vier Hände des Königs will sich nicht erschließen...

Was am Premierenabend wirklich am meisten überzeugt, ist Walter Braunfels’ Musik. Nicht die Speerspitze der damaligen Avantgarde, keineswegs! Im Gegenteil: Braunfels kennt seinen Strauss, kennt seinen Wagner – und die typische Musik der Zeitopern, die kurz zuvor in Deutschland über die Bühne gingen. Hindemith, Spoliansky, Krenek – das alles fließt bei ihm mit ein. Braunfels’ Musik ist von unglaublicher Farbigkeit und reich instrumentiert (Klavier, Blockflöte, viel Schlagwerk inklusive)... Der Garant dafür, dass diese Musik funkelt, schillert, ihre Schroffheiten ebenso wie ihre Lyrik entfaltet, ist Will Humburg am Pult des Beethoven Orchesters Bonn. Kein Wunder, dass der Beifall des Premierenpublikums geradezu stürmisch ausfällt. Von dem bekommt Mark Morouse als Sängerdarsteller am meisten ab – für seinen Zanga, den diabolischen Diener Rustans. Diesen gibt Endrik Wottrich, der den Träumer indes nur mit viel Druck und gefühlter Mühe stemmt. Manuela Uhl ist Rustans Geliebte: erst die „bodenständige“ Mirza, dann die erträumte Königstochter, stimmlich wie darstellerisch prima. Deren Vater gibt Rolf Broman (mit leichten Problemen in der Höhe). Ausgezeichnet singt und spielt der Chor des Theaters Bonn – und Braunfels gibt ihm in seiner Partitur auch reichlich Gelegenheit zur Entfaltung.

Hinsichtlich der seit Jahren zu beobachtenden Braunfels-Renaissance ist Webers Bonner Inszenierung (das Stück erlebte seine szenische Uraufführung erst 2001 in Regensburg) ein gutes Wegstück nach vorne gegangen, das steht ganz außer Zweifel.