Übrigens …

La Cenerentola im Dortmund, Oper

Der Himmel spielt bezaubernd mit

Vom Bühnenhimmel herab regnet es Lichter, Konfetti und sogar Kleider. Das Jenseitige, eigentlich Unirdische gibt sich märchenhaft und zugleich alltagsnah. Und in diesem lebhaften, witzigen oder grotesken Dialog zwischen ferner Fantasie und erdig getränkter Wirklichkeit bewegt sich die neue Inszenierung des Rossini-Klassikers La Cenerentola  im fast voll besetzten Dortmunder Opernhaus. Die Aufführung in der Regie von Erik Petersen und in den naturalistischen Hausfassaden von Tatjana Ivschina sowie in der glänzenden musikalischen Leitung von Motonori Kobayashi könnte sich zum Saisonhit entwickeln. Es gab jedenfalls Bravo-Rufe und Beifallsstürme für dieses so naive und doch im Grunde bitterböse, zynische Märchen um Liebe und Familie, um Ausgebeutete und Neid, um Typen und Masken.

Die Story ist bekannt. Aschenputtel (Angelina) wird von ihren Stiefschwestern und –vater den ganzen Tag über kujoniert. Sie muss putzen, wenn die anderen die Party des süßen Nichtstuns genießen. Dann kommt der als Diener verkleidete Prinz und verliebt sich auf der Stelle in die „graue Maus“: „Ein seltsamer Zauber liegt auf diesem Gesicht.“ Und schon verändert sich die Welt. Es gibt noch ein paar Wendungen, Gefährdungen und Überraschungen – aber die Geschichte liegt damit vor. Es gibt ein Happyend. Und die Gefoppten müssen auf das eigene Glück noch warten. Vermutlich ganz lange…

Soweit der Rahmen. Petersen und seine kongeniale Partnerin für „das Auge“ nehmen Ensemble und Publikum mit auf eine selten einmal fade Reise durch ein italienisches Sonnenland ohne eine feste zeitliche und örtliche Markierung. In dieser einst hierarchisch fest gefügten Welt stimmt bei „Cenerentola“ (fast) nichts mehr. Der Adel ist bürgerlich, der Reiche ein gebeutelter Senior, die Schönen sind arge dumme Gänschen usw. Nur Angelina, das Traummädchen aus der Schein-Gosse, steigt auf zum himmelsnahen Geschöpf mit schöner Zukunft. Dabei behilflich sind ihr die guten Geister des Märchens – Alidoro (Christian Sist mit großer, wendiger Stimme), Dandini (Gerado Garciacano mit ebenfalls flexiblem, im Volumen etwas reduziertem Bariton) und Don Ramiro (John Zuckerman mit robustem royalem Charme, auch was seinen leichtfüßigen Tenor anbelangt). Angelina selbst wehrt sich mit Mezzo-Engelszungen gegen die moralischen und sozialen Verletzungen, denen sie ständig ausgesetzt ist. Der Komponist und sein Librettist Jacopo Ferretti sowie Urgeschichtenvater Charles Perrault (Cendrillon) erretten sie liebevoll aus dem familiären Gefängnis. Ileana Mateescu singt diese Partie mit „geläufiger Gurgel“ und koloraturgesättigter Freude.

Auch alle weiteren Partien sind in Dortmund gut besetzt. Und Bassbuffo Eugenio Leggiadri Gallani als Don Magnifico gewinnt seinem fiesen Charakter noch jede Menge erfrischende Pointen ab.

Doch der Hauptverantwortliche für einen großen Opernabend steht im Graben: Der junge Japaner Motonori Kobayashi zieht mit den Dortmunder Philharmonikern alle Register der imponierend gearbeiteten Partitur Rossinis, der gerade in diesem Stück seinen Ruf als Bestunterhalter unterstreicht. Es glitzert und lächelt, es zaubert und zupft, es wispert und dräut, es strahlt und verkündet die Menschlichkeit mit all ihren Finessen – Musik als Garant für Lebensweisheit und Theatervergnügen drei Stunden lang. Wobei Kobayashi einen verbindlich leisen Ton pflegt. Er zelebriert mit genauester Pointierung die melodienreiche Notenlandschaft des Maestro Rossini. So delikat, intim, lyrisch abgestimmt, wahrhaft märchenhaft und doch auch mitreißend hört man diese Oper selten. Gratulation also an den 1. Kapellmeister des Hauses