Was macht Zeit mit uns?
Er hat sie alle im Griff: Herr Zeit schnippt mit dem Finger und die Menschheit folgt ihm sofort. Dann treten aus der anonymen Masse – Jan Bammes steckt Chor und Extrachor in graue Anzüge mit Strichcode – einige Individuen hervor. An ihnen wird dann demonstriert, was Zeit vermag.
Nach Tom Tykwers Kinoerfolg Lola rennt hat Ludger Vollmer für das Theater Regensburg eine Oper komponiert, die jetzt auch in Hagen zu sehen ist. Roman Hovenbitzer gelingt eine sehr stimmige Umsetzung des Stoffes in Bilder. Dazu hat ihm Jan Bammes ein Stahlgerüst gebaut, in dessen Innern sich scheinbar unendliche Serpentinen winden, auf denen Lola ihre atemlose Suche nach einem glücklichen Ende, nach einem friedvollen ruhigen Leben beginnt und dort auch beendet.
Zwischen den drei verschiedenen Verläufen gibt es ganz ruhige, reflektierende Szenen, in denen Lola und ihr Freund Manni ihren Sehnsüchten und Ängsten freien Lauf lassen.
Hovenbitzer schafft es zu jeder Zeit, die im Stück angelegte Hektik zu durchbrechen. Sei es durch den die Handlung kommentierenden Chor, der zeitweise ganz ruhig an der Seite sitzt, durch ein klasse bebildertes Roulettespiel und vor allem durch den Herrn Zeit, der das Geschehen als Zauberkünstler mit Glitzerstaub so wunderbar ruhig steuert. Richard van Gemert ist die Gelassenheit pur und hat am Schluss noch Muße für ein langes Telefonat mit Gott – an einem vom Schnürboden herabhängenden Telefonhörer.
Trotz der absolut gelungenen szenischen Umsetzung bleiben einige Kritikpunkte im Raum. Natürlich kann eine Oper in Sachen Detailreichtum nicht mit dem Film mithalten, muss vergröbern. Aber dadurch wirken die drei „Runden“ auch irgendwie sehr gleichförmig und nur am Ende tun sich Unterschiede auf.
Und da ist auch Ludger Vollmers Musik nicht gerade hilfreich. Sie hat ihre Stärken vor allem in den Zwischenspielen und im Epilog, wo sie aus dezenten klangmalerischen Passagen besteht. Die „Actionphasen“ kommen indes immer ähnlich und auch mit wenig eigenständiger Tonsprache daher.
David Marlow leitet das Philharmonische Orchester, das im Hintergrund postiert ist, mit viel Übersicht. Aber er kann nicht verhindern, dass die Sänger oft schlichtweg nicht zu verstehen sind. Das ist ein wirkliches Manko dieser Produktion: Da kommt vom Text einfach nicht viel an. Und da es sich bei Lola rennt keineswegs um eine Repertoire-Oper handelt, hätte sich die Investition in Übertitel absolut gelohnt – gerade wenn ein Publikum sowieso viel Konzentration aufzubringen hat, um dem Geschehen zu folgen.
Gesungen wird – wie gewohnt – auf hohem Niveau in Hagen. Kristine Larissa Funkhauser ist – trotz angekündigter Indisposition - mit ihrem funkelnden Mezzo als Lola eine Bank. Raymond Ayers als Manni steht ihr da in nichts nach. Ulrich Schneider als Vater, Michail Milanov als Bettler und Rolf A. Scheider als Wachmann sind ihnen verlässliche Partner. Bewundernswert wie Maria Klier (Jutta, die Sekretärin von Lolas Vater) ihre horrenden Koloraturen absolviert, für die Bernsteins Candide sicher mehr als Pate gestanden haben dürfte.
Das Premierenpublikum war begeistert.