Großartige Chöre auf dem Piratenfelsen
Das ist ein prima Stück, diese Comic Opera von William Schwenck Gilbert und Arthur Sullivan. In den Piraten von Penzance nehmen sie äußerst gekonnt die bürgerliche Moral oder vielmehr Doppelmoral des viktorianischen Zeitalters auf die Schippe - und das mit sehr viel augenzwinkerndem Humor.
Man stelle sich nur vor - da treffen aufeinander: eine Schar von Piraten, richtige Outlaws, eine Polizeitruppe und ein Grüppchen bürgerlich-behüteter Jungfrauen samt ihrem Vater, einem veritablen Generalmajor. Da scheinen die Rollen klar verteilt. Doch nur auf den ersten Blick, denn die Piraten haben weit höhere moralische Werte als der Generalmajor, der, was seine Herkunft betrifft, vor handfesten Lügen nicht zurückschreckt. Und seine Töchter haben es faustdick hinter den Ohren. Die eiserne Ordnungsmacht dagegen schlottert bei der Vorstellung, die Piraten zu bekämpfen. Und mittendrin Frederic. Aus Versehen bei den Piraten gelandet, sehnt er sich nach bürgerlichem Leben. Aber von unerschütterlichem Pflichtbewusstsein besessen, will er es allen Recht machen. Eine tolle Grundkonstellation also für viel Spaß. Und dass die Piraten am Ende echte britische Adelige sind, ermöglicht das unabdingbare Happy-End. Denn der Adel ist natürlich unangreifbar die höchste Instanz im Großbritannien unter Queen Victoria.
Die Piraten von Penzance sind in erster Linie eine Chor-Operette. Denn es geht um das Aufeinandertreffen der drei Gruppen. Die Liebesgeschichten sind eher ein beiherspielendes Moment. Und Inna Batyuks Chöre meistern diese große Herausforderung mit Grandezza. Spielfreudig und gesanglich bestens positioniert, sind sie der klare Mittelpunkt der Inszenierung.
Ihnen stehen die Solisten in nichts nach. Philippe Clark Halls Tenor ist wie maßgeschneidert für die Rolle des Frederic. Henrike Jacob steigert sich nach etwas nervösem Start als Mabel geradezu hinein in einen Koloraturenrausch. Gregor Dalal ist ein sehr nobler Piratenkönig und John Pickering meistert sein wahrhaft zungenbrecherisches Solo mit Bravour. Die Amme Ruth (bitte richtig englisch ausgesprochen!) bietet Suzanne McLeod viel Raum, um ihre Fähigkeiten zu entfalten. Auch Plamen Hidjov (Samuel) und Lukas Schmid (Sergeant der Polizei) formen echt komische Typen.
Das Sinfonieorchester Münster unter Stefan Veselka beweist große Spielfreude und bringt Arthur Sullivans farbige Musik, die gekonnt zwischen großer Oper und Couplet changiert, zu voller Geltung.
Dennoch gelang auch in Münster nicht der Versuch, eine Lanze zu brechen für die Comic Operas von Gilbert und Sullivan. Das geht in diesem Fall auf das Konto der Regie. Holger Seitz zeigt uns die Piraten von Penzance in einer Kulisse aus der Mottenkiste. Pappfelsen, ein Piratenschiff und ein Friedhof mit Grabsteinen, dazu zeitgebundene Kostüme, wenn auch hübsch bunt, tragen nicht dazu bei, vom Bühnengeschehen gefesselt zu sein. Und wenn dann noch die einzigen Brechungen dieser „naturalistischen“ Deutung in übertrieben ironisch-gemeinten Bewegungen bestehen, so ist das einfach zu wenig. Von der Doppelbödigkeit des Stücks, die durchaus auch in den deutschen Gesangstexten vorhanden ist, bekommt man auf der Bühne nichts zu sehen. Und so bleibt als bester Regieeinfall die von Möwen verunreinigte britische Flagge, die sich zum Schlussbild herabsenkt. Schade!
Der Applaus des Publikums ist deshalb auch eher freundlich zu nennen.