Wer den Pfad der Tugend verlässt...
Damit jeder auch gleich weiß, wer hier wohin gehört, hat Kostümbildner Kristopher Kempf das Personal von The Rake’s Progress in ganz eindeutige Kostüme gesteckt. Die Truloves in Rot - und alle anderen in tiefes Schwarz: Nick Shadow, der gleich mit einem ganzen Gefolge schöner Teufelinnen auftritt, die Türkenbab und schließlich auch Mother Goose in Gothic-Outfit. Bühnenbildner Christian Floeren teilt den Vorhang ebenfalls mittig in Schwarz und Weiß. Hier geht es also um den Kampf von Gut und Böse.
Und Ulrich Peters spult die Geschichte des faulen Tom Rakewell, der von Reichtum ohne Arbeit träumt, in diesem Ambiente flüssig herunter. Aufgereiht wie an einer Perlenschur kann das Publikum die Stationen verfolgen, die Tom, der längst dem Teufel seine Seele verkauft hat, vom harmlosen Faulpelz zum bedauernswerten Irren werden lassen.
Peters arbeitet mit Projektionen, die an die Frühzeit des Zeichentricks erinnern: da dreht sich etwa das Haus der Truloves – Sinnbild dafür, dass Tom die sichere Heimat verlässt. Die von Tom herbeigeträumte Maschine, die Stein in Brot verwandeln soll, erscheint mittels sich drehender Zahnräder.
Und es gibt da auch noch ein paar hübsche Einfälle: so lässt Tom die Türkenbab, seine hünenhafte, ewig schnatternde Gattin verstummen, in dem er sie mit einem Tuch verdeckt, so wie man das mit einem Wellensittichkäfig macht.
Dennoch fehlt es dieser Produktion an Interaktion der Figuren. Abgesehen einmal von der anrührenden Schlussszene zwischen Tom und Anne findet da wenig statt. So wird bis zum Schluss nicht klar, warum Tom dem Teufel so willig in den Abgrund folgt. Von Umgarnen, Schmeicheln, ja von Verführung ist da nichts zu spüren. Jeder singt da seinen Rollentyp mehr oder weniger für sich.
Und gesungen wird gut in Münster. Das gilt für den Chor von Inna Batyuk, für Plamen Hidjov als Vater Trulove und für Suzanne McLeod als Bordellchefin Mother Goose. Das gilt für Phillipe Clark Hall als Auktionator im Stil eines Tanzmeisters und vor allem für Lisa Wedekind, die als riesige Türkenbab nicht nur eine Augenweide, sondern auch stimmlich wie immer eine Bank ist... ein Edelstein im Ensemble. Hut ab vor Henrike Jacob, die sich beherzt in die so schwierige Partie der Ann Trulove stürzt und sie gekonnt meistert. Nirgendwo ein Zeichen von Unsicherheit. Geradezu bestechend vor allem ihre so gut ausgebaute tiefe Lage.
Für Gregor Dalal und Youn-Seong Shim als Antipoden Shadow und Rakewell gilt das Gleiche: Beide singen mit viel Durchschlagsvermögen und Kraft - so schafft Shim die fragilen Koloraturen im Stil von Henry Purcell am Ende tadellos und Dalal fährt mit einem gewaltigen letzten Fluch zur Hölle. Aber beiden fehlt es noch an letztem Gestaltungswillen, an Doppelbödigkeit. Außerdem könnten einige Akteure am englischen Idiom noch arbeiten. Da ist des öfteren nicht viel zu verstehen.
Das Sinfonieorchester Münster unter Fabrizio Ventura verleiht The Rake’s Progress Glanz. Brillanz und Leuchtkraft prägen das Spiel, Strawinskys Klangvielfalt und origineller Stilmix kommt ganz plastisch, frisch und lebendig zum Ausdruck. Ein Sonderlob für Elda Laro, die am Cembalo auf der Bühne sitzt – eine wache Virtuosin, stets mitten im Bühnengeschehen.
Das Premierenpublikum ist zufrieden und applaudiert langanhaltend.