Otello im Theater Hagen

Eine Heilige und Zwei, die über Leichen gehen

Sie ist seine Göttin. Nein sie ist viel mehr - seine Heilige, seine Madonna, die er anbetet und sich auf ein Podest gestellt hat: Desdemona. Annette Wolfs Otello ist ein rauer Militär in einer vom Krieg geprägten Umgebung. Zudem ist er ein sehr eindimensionaler Mann, der wenig flexibel ist. Er ist der Außenseiter, der mit Zupacken und einem gehörigen Schuss Brutalität Karriere gemacht hat. In seinem von Jan Bammes feldgrau ausgestattetem Feldlager hat er sich eine Insel geschaffen – die perfekte Frau. Bei ihr kann er auch mal andere, sanftere Seiten zeigen. Aber auch sein Bild von ihr ist kreiert. Er hat sie für sich geschaffen und geplant wie jeden seiner Kriege.

Umso schlimmer, wenn einem derartigen Strategen etwas dazwischen kommt. Zum Beispiel jemand wie Jago, der nicht nur wie Otello auf dem Miniaturmodell einer Schlacht, das im Vordergrund der Bühne zu sehen ist, sondern mit menschlichen Schwächen zu spielen weiß. Etwas, das Otello völlig fremd ist. Da ist der große Feldherr völlig verloren und die Katastrophe unausweichlich. Wolf setzt diesen Ansatz gut um, verliert sich bisweilen allerdings in Belanglosigkeiten. Gut gelingt ihr der Beginn. Virtuos führt sie die großen Massen auf der kleinen Hagener Bühne durch den Seesturm und auch alle anderen Chorszenen gelingen perfekt. Nur im Zusammenspiel der Protagonisten hätte man sich bisweilen ein Mehr an Schärfe und Fokussierung gewünscht.

Aber das machen die großartigen Gesangsleistungen und Charakterzeichnungen des Ensembles allemal wieder wett. Das beginnt bei den Chören Wolfgang Müller-Salows, die in bestechender Form sind und einen regelrechten Verdi-Zauber entfalten.

Das Hagener Solistenensemble glänzt auch in den kleineren Partien: Rainer Zaun als Lodovico, Orlando Mason als Montano und Richard van Gemert als Rodrigo sind genauso eine Bank wie Marilyn Bennett als Emilia. Aufhorchen lässt der Cassio Kejia Xiongs mit seinem hellen, aber auch warmen Tenor.

Veronika Haller singt die Desdemona mit sehr schönem, schlankem Sopran, dem es aber manchmal eben doch an Rundheit und Fülle gebricht. Dadurch wirkt sie fast wie eine ätherische Lichtgestalt – aufgerieben zwischen zwei egoistischen Männern, die ihr keine Chance lassen. Ricardo Tamura ist einer von ihnen. Er kehrt als Otello nach längerer Zeit als Gast ans Hagener Haus zurück und lässt keinen Zweifel daran, dass er die Partie vollkommen im Griff hat. Sein Tenor ist runder und freier geworden seit seinen Anfängen im Theater Osnabrück. Dadurch hat sich seine Bandbreite an Gestaltungsmöglichkeiten enorm erweitert und so gelingt ihm eine vielschichtige Charakterzeichung.

Eine echte Überraschung ist Raymond Ayers als Jago. Seine Stimme würde man sicher nicht als ideal für diesen grauenhaften Fiesling bezeichnen. Aber auch ohne schwarze Tiefe schafft er es, einem ob seines grauenvollen Racheplans das Blut in den Adern gefrieren zu lassen. Hervorragend!

Dieses Prädikat gilt auch für das Philharmonische Orchester und Florian Ludwig. Schon allein der „Seesturm“ zu Beginn ist ein rauschender, brausender Ohrenschmaus. Doch gerade auch in den leisen Passagen wird die ganze Komplexität und Schönheit von Verdis Otello erfahrbar.

Dem von finanziellen Nöten geplagten Haus gelingt ein musikalisches Glanzstück.