Packendes Zentrum, laues Drumherum
Ein merkwürdiges Stück. Eine Großaufnahme zweier gleichaltriger Geschwister. Sie leben in einem Zimmer und kommen nicht voneinander los. Auch nicht durch Beziehungen, vielleicht sogar Liebesbeziehungen zu anderen Menschen. Diese bleiben Außenstehende. Um ihren Status mit- und füreinander zu bewahren, bringt das Geschwisterpaar sich um. Reziproke Pippi Langstrumpfs. Tod statt Erwachsenwerden.
Das Ganze ist gewandet in Minimal Music des späten Philip Glass. Das „Orchester“ besteht aus drei Klavieren, die immer wieder dieselben Klangmuster abwandeln. Die Pianisten unter dem Dirigenten Rainer Mühlbach machen das fantastisch, verstören, beunruhigen und sedieren das Publikum mit ihrer Musik geradezu gleichzeitig. Diese atmet Atemlosigkeit und verströmt mobiles Phlegma.
Der Text ist von Jean Cocteau, sensibel beobachtet und dabei ständig in wilde Bilder, Emotionsorgien, Zeichenhaftigkeit aufbrechend.
Diesem kompromisslosen, hochpoetischen Symbolismus versucht die junge, musiktheaterunerfahrene Regisseurin Anna Horn Psychologie und Gesellschaftsanalyse entgegenzusetzen. Der Bariton Macelo de Souza Felix und die Sopranistin Erika Simons – beide aus dem Opernstudio der Kölner Oper, beide nicht ins Ensemble übernommen – sind Paul und Elisabeth, die sich liebenden Geschwister. Sie gestalten eine brennende Beziehung, mit fein austariertem, angenehm vibratofreiem Einsatz der herrlich intakten Stimmen, mit Blicken, Gesten, eingefrorenen Momenten. Man glaubt ihnen – fast – alles. Wo nicht, will Anna Horn zuviel. Sie hat mit den „Rheinischen Rebellen“, dem von ihr aufgebauten und geleiteten ehemaligen Jugendclub des Schauspiels Köln, und unterstützt von dem Videokünstler Fritz Gnad, Filme gedreht. Da sehen wir junge Menschen in modisch überglänzten Barbie- und Ken-Outfits, die sich feiern. Ständig. Sie wirken wie lustvoll uniformiert. Und sie finden sich schön. Vor diesem Hintergrund sollen Elisabeth und Paul wie Rebellen wirken, wie Punks in individuellem Outfit. Sie tragen orangene Perücken und ziehen sich oft um. Alles wirkt chic, modisch, frisch gewaschen. Nichts von mutwilliger Verwahrlosung, von Aggression, von Solidarisierung mit Dreck wie in der historischen Punk-Bewegung. Wenn es denn eine war. Nur ein gepflegter postpostmoderner Reflex, der keinem wehtut und keine Kontrastwirkung hervorruft. Dazu Nebendarsteller, die, in Person von Lucas Vanzelli und Adriana Bastidis-Gamboa, großartig singen, aber arg statuarisch geführt werden und Renato Schuch als Erzähler, der ständig unter Strom zu stehen scheint. Er führt nicht durch die Handlung, sondern will Teil von ihr sein. Hochdramatischer Teil. Zu wenig Struktur. Zu viel Angst. Zu wenig Empathie. Und Lena Thelen hat den schönen, dunklen Bühnenraum der Studiobühne so verkleinert, dass man das Gefühl hat, den Sängern ständig beim Aufräumen zusehen zu müssen.
Dennoch beweist die Aufführung die Lebenskraft der „Enfants Terribles“. Und wenn Elena Tzavara, die ehemalige Leiterin der Kinderoper, wie eigentlich geplant als Co-Regisseurin im Boot gewesen wäre, wären viele der zu sehende Ungeschicklichkeiten sicher vermieden worden. Aber Tzavara hat das Haus im Winter verlassen und die Intendanz der Kölner Oper hat es versäumt, die talentierte Anna Horn so zu unterstützen, dass sie das komplexe Stück hätte bewältigen können.
Die Aufführung ist für fünfzehn- achtzehnjährige Schüler gedacht. Vielleicht sehen die das ja komplett anders als der dreimal so alte Rezensent. Schon das, größtenteils erwachsene, Premierenpublikum war begeistert.