Auf der Couch
Beginnen wir diesmal mit dem Applaus, ausnahmsweise. Spontan brandet er auf, herzlich ist er, ja bald überschwänglich, in Ovationen mündend. Dazu hat sich das Publikum im Wuppertaler Opernhaus von den Plätzen erhoben. Sicher, der Beifall mag zunächst, völlig zu Recht, der Premiere von Karol Szymanowskis König Roger gelten. Doch hat die Begeisterung wohl auch Symbolcharakter: Im Wissen darum, dass eine solche Spielplanrarität zumindest vorläufig die letzte sein wird an diesem Haus, gilt der Dank nicht zuletzt der Intendanz Johannes Weigands, der manches musiktheatralische Experiment wagte, etwa mit Respighis Die Ägyptische Maria oder Adolphe Adams Le Toréador.
Aus, vorbei, die Zeiten werden rauer. Zur Saison 2014/15 wird das Ensemble zugunsten von Gastverpflichtungen aufgelöst, übernimmt der Chef des Sinfonieorchesters Wuppertal, Toshiyuki Kamioka, auch das Intendantenamt und kündigt Premieren aus dem immerwährenden Repertoire an: Salome, Tosca, Don Giovanni, Parsifal. Wer das Neue sucht, muss in die Kinderoper gehen. Dort steht mit Andreas N. Tarkmanns Alice im Wunderland eine Uraufführung an. Es muss halt gespart werden auf Teufel komm raus.
Vor dem Hintergrund dieser schwerwiegenden Zäsur ist verständlich, dass das Opernpublikum die nun endende Zeit der Vielfalt noch einmal feiern will. Vielleicht klammert es sich aber auch an die Schlusssequenz von Szymanowskis Oper, wenn sich eben jener König Roger, umgeben vom großorchestralen, strahlenden C-Dur-Hymnus, der Sonne als Licht- und Wärmespenderin zuwendet. Auf dass dem Musiktheater eine glänzende Zukunft beschieden sei.
Das Werk des polnischen Komponisten ist von beachtlicher Themenvielfalt. Da wird die vorherrschende orthodoxe Religion zu byzantinischer Zeit durch einen Hirten in Frage gestellt, der sich letzthin als lebens- und naturfroher Jünger des Dionysos entpuppt. Das Volk läuft alsbald zu dem Prediger des Rausches über, Roger muss mehr und mehr hilflos dem Zerfall seiner königlichen Macht zusehen. Zur politischen Bedeutungslosigkeit gesellt sich die Krise mit Ehefrau Roxane, die sich in den Hirten verliebt. Der Herrscher fühlt sich im Wahn verfolgt, wie in einem furchtbaren Albtraum.
Hier setzt die Inszenierung von Jakob Peters-Messer an. Roger, Normannenkönig im mittelalterlichen Sizilien, liegt auf der Couch, hinter ihm macht sich sein arabischer Berater und Freund Edrisi Notizen. Der Regisseur sieht das Geschehen als wild wucherndes Fantasieren eines Patienten, der psychologischer Betreuung bedarf. Nun, als Szymanowski König Roger schrieb (1918-1924) war Sigmund Freuds Traumdeutung lange erschienen, und 1921 wurde die Schrift Massenpsychologie und Ich-Analyse herausgebracht. Masse und Individuum – ein weiteres Thema dieser Oper.
Die Menge, die sich von ihrem Oberhaupt abwendet, dem neuen Heilsbringer zujubelt, lässt die Regie zuweilen ins bedrohlich Riesenhafte wachsen. Um dies zu erreichen, hat Ausstatter Markus Meyer einen gewaltigen Kubus auf die Bühne gewuchtet, der an einen Zeittunnel erinnert und an seinen äußeren Segmenten teils mit Spiegeln bestückt ist. In dieser Röhre feiern zunächst Schwarzgewandete im Halbdunkel eine strenge Messe, die Szymanowski mit oratorienhafter Musik unterlegt. Das gleißende Weiß gilt als größtmöglicher Kontrast dem Auftritt des Hirten.
Bald wird er, in leuchtend gelbem Umfeld, schon triumphierend seine Lehre verkünden. Das Volk hebt ihn empor – ein Bild, wie aus Pina Bauschs Le Sacre du Printemps-Choreographie geschnitten – der König steht machtlos da. Das letzte Bild dieses 90 Minuten langen Dreiakters ist in schwärzliches Grau getaucht, das große Leuchten und mit ihm des Königs Befreiung von seinen Ängsten ist eben dem Schlusshymnus vorbehalten.
Die Wirkmacht der Bilder erwächst indes nicht nur aus Monumentalität und Farbpracht, sondern auch durch gestalterische Raffinesse. Die Rückwand des Tunnels dient nämlich als Projektionsfläche für ausgefeilte geometrische Muster. Zunächst blicken uns Menschen mit schwarzen Augenmasken herausfordernd an, im zweiten Akt steht schlangengleiche Ornamentik für eine (orientalische) Welt des Genusses, dann verdüstert sich alles – des Königs Reich scheint unterzugehen.
Szymanowskis Musik gleicht einem großen lyrischen Fließen. Eine Bewegung indes, die ziemlich starr wirkt. Zur Dramatisierung dienen markante Rhythmen oder machtvolles Aufbrausen. Der Komponist setzt zudem auf eine Klangfarbenvielfalt, die ihn als Bewunderer Debussys zeigt. Teils ertönt sogar eine wie entfesselte Sinnlichkeit, die an Schreker erinnert. Und es ist dem Sinfonieorchester Wuppertal unter Leitung von Florian Frannek zu danken, dass all diese Elemente wunderbar zu hören sind.
Die Chöre der Oper und der Wuppertaler Kurrende setzen mächtige Akzente. Und unter den Solisten ist es vor allem Kay Stiefermann als König, die Ängste und Nöte des Herrschers in baritonale Expressivität kleidend, der den stärksten Eindruck hinterlässt. Banu Böke (Königin) schwankt zwischen betörend leuchtendem und schlecht fokussiertem Soprantonfall. Und den Hirten singt Rafal Bartminski mit schmelzlosem, nicht ganz frei geführtem Tenor.
Gleichwohl: Die Produktion ist in ihrem Kern spannend, die Oper eine Bereicherung des Repertoires. Das aber wird in Wuppertal bald kein Argument mehr sein.