Übrigens …

Fidelio im Oper Bonn

Schwierige Oper

Als 1993 die Stadt Bonn das Ende des Beethoven-Festes beschloss, gründete sich der Verein „Bürger für Beethoven“, den wohl berühmtesten Sohn der Stadt. Der schmähliche Entscheid konnte erfolgreich angewendet werden. Aktuelles Diskussionsthema: neues Festspielhaus oder alte Beethoven-Halle (akustisch unzureichend)? Seit dieser Spielzeit leitet Nike Wagner das Beethoven-Fest. Zu ihrem Programm gehört (nach der konzertanten Darbietung im Vorjahr) ein neuer Fidelio, eine Gemeinschaftsproduktion mit der Oper der Stadt. Geht man in der lokalen Rezeptionsgeschichte des Werkes zurück, stößt man unter anderem auf den Namen Gottfried Wagner, der 1977 mit dieser Oper vor Ort als Regisseur debütierte. Schon lange hält also der Bayreuther Meister segnend die Hände über das Beethoven-Bonn.

Nun, von Segen kann jetzt nicht die Rede sein. An der dramaturgisch so sperrigen, mit einem kaum noch tragbaren Libretto belasteten Oper haben sich schon viele verhoben, aber so gründlich wie Jakob Peters-Messer kaum. Aber die Bonner Opernfreunde, offenkundig ein auf Zufriedenheit in allen Lagen geprägter Menschenschlag, jubelten den Reinfall in der Premiere ungerührt hoch. Noch mehr: sie klatschten - nachdem das Duett Marzelline/Jaquino noch verschont wurde - nach jeder Nummer. Das ist angesichts des verhandelten Stoffes unsensibel und grausam. Die entsprechende Reaktion nach der Florestan-Arie war schon fast eine Todsünde. Dies jedenfalls die Meinung des Rezensenten.

Zu Beginn der Aufführung sieht man auf der mit einem schwarzen Zwischenvorhang abgeschlossenen Vorderbühne linksseitig einen Berg Schuhe, ein Mahnbild, welches erst einmal hoffen lässt. In einem rosaroten, später sogar schulterfreien Petticoat (was hat sich Kostümbildner Sven Bindseil eigentlich dabei gedacht?), ordnet Marzelline diesen Haufen. Damit verpufft der „Einfallsreichtum“ des Regisseurs aber auch schon. Der Rest sollte eigentlich besser Schweigen sein, dennoch ein paar Andeutungen. Manchmal dreht sich die extrem hässliche Bühne von Guido Petzold grundlos, es wechselt auch schon mal das Licht, beim Trompetensignal reißt der Hintergrund auf, es gleißt und dampft, der Schlusschor macht  auf Französische Revolution. Ein „Höhepunkt“ des Abends ist der laienhaft arrangierte Gefangenenchor. Dem Vernehmen nach war ein langer Verbleib dieses Fidelio im Repertoire angedacht. Jetzt werden sich Nike Wagner und Intendant Bernhard Helmich aber wohl zusammensetzen und neu überlegen müssen.

Begeisterung für den musikalischen Bereich ist indes gerechtfertigt. Unter Hendrik Vestmann erklingt die Musik beim Beethoven Orchester (die Hörner anfangs noch etwas nervös) angenehm kantig und dramatisch geschärft, hier und da gibt es aber auch warm getönte Klangteppiche wie bei der Einleitung zum Quartett. Auch der verstärkte Chor (Volkmar Olbrich) macht viel Eindruck. Im Sängerensemble registriert man Qualitätsunterschiede, aber bis hin zum Jaquino des ungemein lebendig agierenden und famos singenden Tamás Tarjányi sind eigentlich nur rollendeckende Besetzungen zu bilanzieren. Der finnische Tenor Christian Juslin intoniert Florestans „Gott, welch Dunkel hier“ noch etwas fragil, wird in seiner Partie aber immer sicherer. Der estnische Bassist Priit Volmer gibt einen soliden Rocco, Nikola Hillebrand entzückt als sopranfrische Marzelline, Mark Morouse, der Pracht-Bariton des Hauses, ist der fiese Pizarro und wäre unter besserer Anleitung fraglos zu einer noch differenzierteren Charakterstudie fähig; den Don Fernando gibt Giorgos Kanaris. Yannick-Muriel Noah (aus Madagaskar stammend) überzeugte zuletzt als Tosca. Ihre Leonore vereint vokale Leuchtkraft, physisches Durchhaltevermögen und Ausdrucksvariabilität. Das Piano-H in der Arie „Abscheulicher“ ist ein besonders hinreißender Moment.