Ein schöner Opernabend
Am Ende läuft Carmen mit großer Willenskraft dreimal hintereinander ins offene Messer, das sie Don José selbst in die Hand gedrückt hat. Ein veritabler Freitod also und kein Mord aus Eifersucht.
So spitzt Georg Köhl seine Inszenierung zu, die auf weitestgehend leerer Bühne sich entfaltet. Martin Warth umgrenzt den Raum mit dunklen hölzernen Lamellenelementen, die sich ab und an öffnen, verschoben werden. Dann erhellt verschiedenfarbiges Licht das Geschehen. Carmen ist eine Gefangene, die sich nach Liebe in Freiheit sehnt. So weit der Regieansatz, der am konsequentesten umgesetzt wird in den pantomimischen „Aktkurzfassungen“, die während der Vorspiele zu sehen sind. In der Interaktion der Figuren ist davon oft nur etwas zu verstehen, wenn man das Programmheft gelesen hat. Denn sonst wirkt alles sehr bekannt: lüsterne Wachen, laszive Arbeiterinnen umrahmen einen frustrierten Soldaten, ein Schulmädchen und einen B-Promi, der im Stierkampfgewerbe tätig ist. Mittendrin Carmen, die ob ihrer Kompromisslosigkeit auch hier wie ein Katalysator der Gefühle wirkt. Das ist alles durchaus schlüssig, aber pointiert setzt Köhl sein Konzept nicht immer um. Aber sei’s drum, die Carmen läuft präzise ab und garantiert einen schönen Opernabend, der zu einem tiefdunklen spanischen Rotwein danach geradezu animiert.
Stören tun da höchstens die Chorszenen, die sehr gleichförmig daher kommen – fast ein wenig wie Scharaden, Posen. Das wirkt abgezirkelt und gestelzt. Durch seine Fokussierung auf die Protagonisten vernachlässigt Köhl den Chor – Individualisierungen finden nicht statt. Das ist schade, denn Carmen ist schon eine „Choroper“.
Diese Carmen zeigt ihre Schokoladenseite vor allem im musikalischen Bereich. Fabrizio Ventura und das Sinfonieorchester Münster entfalten Funkenflüge: flottes Tempo, und dennoch geht nichts verloren oder versinkt in Klangmassen.
Tara Venditti verfügt eine wunderbare Tiefe. Von diesem Fundament aus formt sie eine herrliche lebensbejahende Carmen, die trotzdem sterben muss. Adrian Xhema läuft zu großer Form auf. Sein Don José verströmt die ganze Verletzlichkeit des Sergeanten, während Gregor Dalal den Escamillo perfekt singt, ihm aber jeglicher Testosteronausstoß abhanden gekommen ist. Sara Rossi Daldoss ist als Micaela eine absolute Ohrenweide – ihr klarer und doch voller Sopran beglaubigt die fast rein zu nennende Liebe Micaelas zu Don José. Das münstersche Ensemble ist auch in den kleinen Rollen gut aufgestellt.
Das Premierenpublikum spendet großzügigen Beifall. Gleichwohl fällt der Saisonauftakt für das Musiktheater Münster mit dieser Inszenierung nicht eben berauschend aus.