Übrigens …

Neither im Bochum, Jahrhunderthalle

Alles oder Nichts – und Musik

Großes Kino in der Bochumer Jahrhunderthalle, phasenweise geradezu im Wortsinn. Da werden Vierziger-Jahre-Möbel auf der Bühne angeordnet. In dieser Kulisse läuft dann etwas ab, was sichtbar von den „Schwarze Serie“ – Filmen jener Zeit inspiriert ist. Im Zentrum steht eine Frau samt Mutter und Tochter. Sie versteckt etwas. Vielleicht sucht sie auch etwas. Jedenfalls wollen alle etwas haben. Jedenfalls wird sie konfrontiert mit einer Gangsterbande und der Polizei, die zwischendurch auch in Zeitlupe aufeinander losgehen. Mal ist die Frau gefesselt, dann trägt sie Handschellen, dann ist sie frei. In sich langsame, schnell wechselnde Szenenpartikel verkehren sich ständig in ihr Gegenteil.

Neither heißt die Anti-Oper für Sopran und Orchester, die Morton Feldman auf siebenundachtzig so hochpoetische wie scheinbar zusammenhanglose Worte von Samuel Beckett – beide übrigens eingestandene Opernverächter – geschrieben hat. „Weder“ – der Performance-Regisseur Romeo Castellucci nimmt den Titel beim Wort. Entweder oder. Weder noch. Schwarz und Weiß. Immer wieder zeigt er diesen Dualismus – und versucht so, fast verzweifelt, ihn hinter sich zu lassen, inszeniert, nach strukturell stringentem Beginn, eine monströse, richtungslose Fluchtbewegung mit gewaltigen Bildern. Da steht ein amputiertes Bein gegen eine Dampflok samt Waggon in Originalgröße. Die schraubt sich unerbittlich langsam heran, verschont das Bein, aber keinesfalls die Zuschauertribüne, die um mehrere Meter nach hinten gedrückt wird.

Zwischendurch treten immer wieder Tiere auf. Eine Katze, ein Hund, wie naturkräftige Therapeuten in einer Kunstwelt. Zu Beginn des zweiten Teils, als die Jahrhunderthalle längst nur noch von außen beleuchtet wird, von gewaltigen Scheinwerfern, die an Kränen über dem Dach hängen, schält sich ein lebendiges Pferd aus dem Dunkel. Sehr schön und sehr sinnlos. Seine Anwesenheit wirkt wie eine Verbeugung vor dieser Musik. Enrico Pomarico, die Duisburger Philharmoniker und die Sopranistin Laura Aikin, die Frau aus dem film noir, musizieren zum Niederknien. Sanfte Klangflächen, wehende Bewegungen, transparente Eruptionen. Alles ist hörbar und nichts. Zumindest keine Strukturen. Keine Zusammenhänge mit den absichtsvoll kaum akustisch verständlichen Worten. „Unspeakable Home“, lautet die letzte Phase, x-fach wiederholt. Das kann das Theater auch sein. Vielleicht. Das will es sein an diesem ungewöhnlichen Abend.