Ariadne auf Naxos im Duesseldorf Oper

Viel Spaß

Es ist Dietrich Hilsdorfs 150. Inszenierung. Da darf es schon Mal etwas Besonderes sein. Und so schnürte der Regisseur ein großes, buntes Überraschungspaket. Das beim Öffnen förmlich explodiert, uns mit feinem Humor und derbem Witz, mit ergreifenden Schicksalswendungen und allerlei allzumenschlichen Querelen geradezu überschüttet. Sodass wir mitunter Teil des Ganzen werden. Dieses Ganze heißt Ariadne auf Naxos, Oper in einem Aufzug nebst Vorspiel von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss.

Das Stück ist nicht leicht zu handhaben, zerfällt es doch in zwei divergierende Teile, soll aber durch geschickte Verklammerung eine Einheit bilden. Hinzu kommt ein Stilmix, musikalisch stehen sich Elemente der Opera buffa und seria gegenüber, personifiziert durch eine Commedia-dell’arte-Truppe und den tragischen wie erhabenen Figuren der griechischen Mythologie. Hinzu kommt, das Komponist und Textdichter mit diesem Werk, das die letzten Vorbereitungen vor einer Opernaufführung zeigt, eine Theater-im-Theater-Konstellation schaffen, die bisweilen vor Ironie strotzt.

Daran hat ein Regisseur zu knacken. Hilsdorf aber stellt sich der Herausforderung, geht so lustvoll wie detailgenau ans Werk, dass jede Minute zum Genuss wird. Endlich hat es jemand geschafft, geistvolle Unterhaltung zu zeigen. Das Publikum in der Rheinoper Düsseldorf gluckst und lacht auf, weiß sich ob des üppigen Augenfutters, der glänzenden Spielfreude der Sänger und ob des Pointenreichtums kaum zu orientieren. Am Ende wird wiederum das Regieteam überschüttet, mit unglaublichem Beifall. Und Hilsdorf wirkt gar ein wenig gerührt.

Was Wunder: Es ist ja seine erste Strauss-Inszenierung. Weil aber der Regisseur die Personen wirklich akribisch genau zu führen versteht, Charaktere treffsicher und in aller Plastizität auf die Bühne bringt und ja sowieso genau weiß, was sich hinter den Theaterkulissen so alles abspielt, gelingt Hilsdorf der große Coup. Das geht soweit, dass ein, zwei Mal einzelne Darsteller aus ihrer Rolle zu fallen drohen. Überwältigt von dem, was sie posengleich und possenreich auf der Bühne treiben, möchten sie am liebsten mit dem Publikum losprusten.

Liebling der Musen, aller Götter und sowieso der Menschen im Saal ist ohne Zweifel Elena Sancho Pereg, eine Zerbinetta zum Knuddeln, die mit einem Augenaufschlag Herzen und Welten bewegen kann. Der Zickenkrieg zwischen ihr und der Primadonna im Vorspiel der Strauss-Oper gewinnt Kontur allein durch subtile Blickwechsel. Auf der Bühne scheint gleichsam eine imaginäre Linie zu verlaufen, die das Commedia-dell’arte-Volk von den hehren Opernfiguren trennt. Links am hölzernen Tisch die derben Bauern, die erstmal eine italienische Brotzeit auspacken, rechts die eingebildete Diva und ein herablassender Tenor. Zerbinetta aber ist von Anfang an mehr als ein durchtriebenes Herzchen. Sie trägt die gefährlich verführerischen Züge einer Carmen in sich, denen der Komponist (Maria Kataeva in lyrischer Emphase) mehr und mehr verfällt.

Hilsdorf liebt augenscheinlich das pralle Gefühlstheater, die unerhörte Grundkonstellation, dass ein Komponist durch die irrwitzigen Vorgaben eines fürstlichen Geldgebers beinahe in den kreativlosen Wahnsinn getrieben wird, ist nur ein Handlungsstrang, ohne mahnenden Zeigefinger. Hier ist, um mit Falstaff zu sprechen, alles nur Spaß auf Erden. Doch das hat Konsequenzen: Die eigentliche Oper in der Oper, Ariadnes Todessehnsucht und ihre Verwandlung durch Bacchus, wird bisweilen durch Einwürfe vom Personal des Vorspiels gestört. Da steht die Pointe dem Erhabenen im Wege.

Ausgenommen davon ist natürlich die köstliche Komödiantenszene und Zerbinettas weiträumige Arie „Großmächtige Prinzessin...“ Elena Sancho Pereg lässt lebensfroh ihre Koloraturen aufblitzen, gönnt sich aber auch einen ernsten Unterton. Ein Energiebündel, das gleichwohl den Herzschmerz kennt – die Ovationen nach dieser Szene wollen nicht enden. Ihr ebenbürtig ist Karine Babajanyan als Ariadne, die in dunkel tönenden Schattierungen berührend vom Tode singt. In der finalen Verwandlung aber finden sie und Roberto Saccá (heldentenoral) zu jubelnden Strauss-Farben.

Um das Spiel der Düsseldorfer Symphoniker unter Axel Kober zu würdigen, die sich bisweilen – kaum zu glauben – gegen forcierte Sängerstimmen behaupten müssen, ist der Blick auf die Bühne zwingend. Dort nämlich hat Dieter Richter das Orchester platziert, im hinteren Teil, vom Geschehen abgetrennt durch einen Gazévorhang. Der im übrigen Arnold Böcklins Gemälde Die Toteninsel zeigt, als sinnfälliges Bild für Ariadnes wüstes Eiland. Davor aber steht, trefflich ausgewählt, eine Stehgreifbühne fürs komödiantische Spiel, Symbol für die Verklammerung des Humorigen mit dem Erhabenen.

Akustisch aber hat das teils enttäuschende Konsequenzen. Die klangliche Raffinesse, die Strauss dem nur kammermusikalisch besetzten Orchester verordnet hat, gerät ins Hintertreffen. Erst die Ariadne-Szenen werden glutvoll und süffig unterfüttert. Doch wenn am Schluss Ariadne und Bacchus aus ihren Rollen schlüpfend sich an den Holztisch des gemeinen Volkes setzen und erstmal ein Gläschen trinken, hat sowieso der Spaßmacher Hilsdorf gesiegt. Wohl sein!