In Zeiten des Krieges
Zwei Jubiläen sind es wohl, die Michael Schulz zu seiner Deutung der Frau ohne Schatten bewogen haben dürften. Der 150. Geburtstag des Tonmagiers Richard Strauss (der von 1911 bis 1915 an der Oper arbeitete) – und der 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkrieges. Klar, dass dieses Zusammenspiel sich für eine historisch inspirierte Interpretation der Frau ohne Schatten anbietet.
Schulz gelingt das auch sehr gut: Wenn sich die Werkstatt des Färbers, dessen Brüder Kriegsversehrte sind, sich vom Recyclingbetrieb alter Armeeröcke in ein privates Lazarett verwandelt, ist das stimmig. Und wenn darin die Kaiserin und Barak mit viel Mitleid Verwundete pflegen und sich nahe kommen, bildet das einen wunderbaren Gegensatz zum Kaiser, der nicht äußerlich versteinert, sondern sich in einen brutalen Kriegsmanager verwandelt, der ohne Skrupel mordet. Die Färberin bewegt sich genau dazwischen – hin und her schwankend zwischen Eigennutz und Mitleid.
Auch Schulz’ Ideen für den Schluss sind gut: Der Kaiser erschießt sich, wird durch die guten Taten aber wieder erweckt. Färber und Färberin geben beim Roten Kreuz Suchanzeigen für einander auf. Und beim Schlussbankett zeigt der Kinderchor dem Kaiser, dass sein alte, etikettebehaftete Zeit vorbei ist.
Das stimmt alles und passt. Dirk Becker und Renée Listerdal schaffen die perfekte Umgebung für den Regieansatz. Ganz hervorragend auch die Umsetzung der Partitur durch die Neue Philharmonie Westfalen unter Rasmus Baumann. Strauss scheint dem Orchester bei dieser Premiere zu liegen – selten schwappte es so klangmächtig aus dem Orchestergraben. Und alle Akteure auf der Bühne waren ganz prächtig auf die Frau ohne Schatten eingestellt. Da gab es absolut keine Ausfälle.
Martin Homrich und Yamina Maamar sind ein Kaiserpaar, das in seine Rollen noch hineinwachsen wird. Beiden mangelt es noch ein wenig an differenzierter Rollengestaltung. Alle Hauptakteure haben am Schluss etwas Konditionsprobleme: Auch Urban Malmberg als Barak. Dagegen mangelt es Sabine Hogrebe an Durchschlagskraft nicht. Ihre Färberin ist unzweifelhaft der musikalische Höhepunkt. Sie differenziert und führt durch alle Gefühlsnuancen.
Gudrun Pelker ist eine Amme von Format. Bis zum Schluss verteidigt sie ihre Verachtung der Menschenwelt – mit gutturaler Tiefe und bösen, schneidenden Tönen. Ein beeindruckendes Rollenporträt!
Trotz aller musikalischen Highlights: Es fehlt etwas in Gelsenkirchen! Und das liegt schlicht daran, dass Michael Schulz alles Magisch-märchenhafte der Frau ohne Schatten ausgeblendet hat, die Oper zu sehr zeitgebunden sehen möchte. Lasst uns doch ein paar Träume, ein paar zauberische Momente...
Große Begeisterung im Musiktheater im Revier.