Leucippo im Köln, Oper

Aus weiter Ferne

Über dieses Stück ist definitiv der Zahn der Zeit hinweg gebraust. Diese Welt der intriganten Götter, treuen Nymphen, der strengen, gütigen Priester und geraubten Kinder ist unglaublich weit weg. Und doch zeigen sich in der von Johann Adolf Hasse außergewöhnlich subtil gehandhabten barocken Affektdramaturgie zarte Ansätze für überzeitliche Relevanz. Um die Kräfte und Schmerzen der Liebe geht es und das, was sie mit jungen Menschen machen. Hier setzt die Regisseurin Tatjana Gürbaca an und zeigt ein uraltes, aber nie schwerfälliges ‚Frühlings Erwachen‘.

Dabei verzichtet sie bewusst auf jede Art von barocker Prachtentfaltung oder wohlfeiler Ironie. Im Gegenteil. Die Regisseurin hat sich von Henrik Ahr einen strengen Raum bauen lassen, ein Halbrund mit leicht schrägem Boden. An den Seiten je eine Bank, ein kleines Podest, gelegentlich eine Öffnung in der Rückwand. Fast eine Versuchsanordnung. Der Spielort, Arkadien, ist für Gürbaca ein Schutzraum. Kindheit, Jugend, Spielfläche. Barbara Drosihn kleidet die Figuren heutig mit leichtem Antiken-Einschlag, ein wenig androgyn, ein wenig verspielt. Die Regisseurin versucht die Musik in die Körper ihrer Sänger zu bekommen, ohne sie anzutasten, zeigt Gruppenverhalten, Leidenschaft, Scham, Ablenkung, Imponiergehabe, Scherze auf Kosten anderer. Über weite Strecken sieht man gerne zu, spinxt nicht nach den Übertiteln. Natürlich gibt es da auch Untiefen, gerät das muntere Körperspiel mal in die Belanglosigkeit, erscheint als bloße Gymnastik. Aber der Ansatz hat Charme und Witz. Und ist sehr ernsthaft.

Und wird beglaubigt durch die umwerfende musikalische Umsetzung. Wenn man Concerto Köln an diesem Abend intensiv zuhört, wird man Hasse für eine Stunde oder zwei für einen der größten aller Komponisten halten. So frei und dynamisch, so fein und grazil wird da gestaltet. Und doch gehen viele Premierenzuschauer in der Pause. Sie hören die subtilen Schönheiten nicht. Und lassen sich das alte Stück auch von den wundervollen Sängerdarstellern nicht retten. Da ist der berühmte Countertenor Valer Sabadus mit unebener Stimmführung, aber bestechenden Koloraturketten und einer zum Niederknien schönen Mittellage. Regina Richter steigert sich als Nymphe Dafne über den langen Abend zu einer außergewöhnlichen Leistung. Auf gleichem Niveau serviert Claudia Rohrbach den intriganten Gott. Alle werden noch überstrahlt von der jungen Sopranistin Klara Ek, bei der einfach alles stimmt. A voice to remember. Luke Stoker gibt ihren Liebhaber mit jugendfrischem Bariton. Kenneth Tarver schließlich, bekannt vor allem aus der Zusammenarbeit mit Rene Jacobs, beeindruckt durch gestalterische Souveränität und große, empathische Ausstrahlung, auch wenn er seine Koloraturen stets ein wenig schleifen lässt. Gianluca Capuana führt Ensemble und Orchester wie selbstverständlich zusammen und leistet Hasses Musik einen außergewöhnlichen Dienst.