Theater am Abgrund
Das Dschungelcamp im Stadttheater? Na klar, wenn’s um das nackte Überleben geht, ist alles möglich. Das sieht auch der etwas abgewrackte Intendant Don Magnifico so, der sein ob mangelnder öffentlicher Zuschüsse in die roten Zahlen geratenes Haus an einen chinesischen Industriemagnaten verkaufen möchte und das um jeden Preis. Und da der Erbe des Konzerns unbedingt eine Sängerin heiraten möchte, buhlt das weibliche Ensemble um dessen Gunst – unterwerfen sich sogar dem Bad in Würmern. Das ganze Ensemble? Nein, Mezzosopranistin Angelina ist das Spektakel dann doch unheimlich – sie wartet eben in Wahrheit auf die wahre, die große Liebe.
Florian Lutz verfrachtet Rossinis La Cenerentola also ins Theatermilieu. Diese Transformation gelingt im Großen und Ganzen und sorgt für einen vergnüglichen Theaterabend: Klar, dass man sich gut austoben kann in dem gewählten Ambiente in der Kombination mit Rossinis überbordendem Stoff. Und das tut das Regieteam. Ausstatter Martin Kukulies spielt mit dem Raum, lässt Theatertricks wie die Schneemaschine sichtbar werden, zeigt natürlich die imposanten Scheinwerferbatterien. Und auch Lutz lässt sich inspirieren. Seine Akteure dürfen die Hebebühne nach Lust und Laune benutzen, um unliebsame Konkurrenten nach „oben“ zu fahren oder sich selbst in den Mittelpunkt zu setzen. Und plötzlich unterbricht der Regisseur die Handlung und lässt das Publikum zu einer Weinprobe mit Don Magnifico auf die Bühne bitten: Teilhabe am Theater ist gefragt und erbeten! Wer der Einladung folgt, muss für den Probeschluck dann auch richtig arbeiten und bis zum Schluss des ersten Aktes auf der Bühne bleiben – mitgefangen, mitgehangen!
Lutz inszeniert wunderbar punktgenau zur Musik. Was sich da zum Beispiel zu Beginn des zweiten Aktes an Figuren auf der Bühne tummelt, ist ein wahrer Augenschmaus.
Und das Ende von Rossinis ach so herrlichem Lied? Da packt der chinesische Industrieerbe nicht nur sein Aschenputtel ein, nein - er lässt auch das gesamte Theaterinterieur in einen Übersee-Container verpacken (zu veraltet um es noch zu gebrauchen und nur noch fürs Museum geeignet). Und als dann das Orchester peu à peu auch noch darin verschwindet, weiß Don Magnifico, dass seine Theaterträume endgültig der Vergangenheit angehören.
Klar, wo gehobelt wird, fallen auch Späne. Und es lässt sich nicht ganz verdecken, dass das Geschehen auf der Bühne sich nicht ganz mit dem gesungenen Text vereinbaren lässt. Da helfen auch schönende – wenn auch bisweilen erfrischende - Übertitel nichts. Und einige Highlights wie Rossinis köstliche Gewitterszene gehen im allgemeinen Trubel unter. Aber was soll’s: diese Cenerentola ist ein wunderbarer Spaß. Und mehr will sie auch nicht sein.
Elisa Gogou und die Bielefelder Philharmoniker zaubern einen „straighten“, klaren Rossini-Klang im Stadttheater. Da kommen sämtliche Petitessen an. Und das singende Personal folgt ihr weitestgehend.
Adriana Bastidas Gamboa ist eine ganz wunderbare Cenerentola, die von gutturaler Tiefe mühelos zu engelsgleichen Höhen aufzusteigen vermag. Ihr Prinz Lianghua Gong ist leider etwas erkältet und ihm mangelt es daher trotz seines schlanken, klaren Tenors ein wenig an Durchschlagskraft.
Caio Moteiros Dandini ist ungemein spielfreudig angelegt, Moon Soo Parks Alidoro sehr vornehm und zurückhaltend. Fürchten muss Angelina aber ihre Stiefschwestern: Nienke Otten und Nohad Becker sind jederzeit bereit für einen Angriff auf den Thron der Primadonna. Hagen Enkes Männerchor liefert stimmlich wie auch schauspielerisch eine tolle Leistung ab. Und das Bielefelder Publikum hat Spaß für ?ne Mark.