Verlorene Liebesmüh'
Die Bühnenbilder von Christin Vahl deuten provisorisch Innen- und Außenräume an, sind beweglich, verstell-, dreh-, immer wieder neu kombinierbar. Und sie spiegeln wie nebenbei die Struktur der Musik. Der Regisseur Ludger Engels geht ungemein klug mit dieser Vorgabe um, nutzt das Angedeutete, Improvisierte, Bruchstückhafte, dass der Raum ausstrahlt. Er teasert Milieu an, Kleinbürgertum vor allem, weckt Assoziationen, spielt es aber nicht aus, benutzt es nur als Hintergrund für eine detailliert erzählte, behutsam entwickelte, große Liebesgeschichte.
Jack und Ennis treffen sich auf dem Brokeback Mountain. Ein einsamer Job. Land bewachen und Schafe hüten. Die jungen Männer verlieben sich ineinander, lieben sich zwanzig Jahre lang, immer wieder. Aber sie kommen nicht zusammen. Ennis traut sich nicht, will ein Heim, Kinder, Familie, will ein gesellschaftlich akzeptierter Mann sein. Erst als Jack stirbt, weiß er, dass er sich hätte trauen müssen. Christian Tschelebiew hat eine warme, berührende Stimme. Aus seinem homogen geführten, hohen Bass rinnt großes Leid in der Schlusszene, klingt am Anfang viel Biederkeit, später immer mehr Verzagtheit und wenig befreites Glück. Jack singt, in Gestalt von Mark Omvlee, Tenor. Schlank, manchmal eng, aber stets charmant, zielorientiert, mit unbändigem Lebensdrang. Beide teilen nicht nur ihre Liebe, sondern, das entwickelt Ludger Engels so behutsam wie deutlich, auch die Sehnsucht nach einem harmonischen Leben, im Einklang mit der Natur, sich abarbeitend an ihren Herausforderungen, weit weg von den immer größer, immer dominanter werdenden Städten. Also eine tolle neue Oper?
Ang Lee machte aus der Geschichte von Annie Proulx 2005 einen ergreifenden Film. Charles Wuorinen gewann die Autorin als Librettistin für seine Anfang des Jahres in Madrid uraufgeführte Oper, übrigens den letzten Kompositionsauftrag des an Krebs verstorbenen Gerard Mortier. Wuorinen verzichtet völlig auf folkloristische Anspielungen, will eine universale Tragödie gestalten – und tut genau das nicht. Zu Beginn beeindrucken sie noch, die Klangfetzen, -klumpen und – schichten, die gereiht und getürmt auf die Bühne geworfen werden wie die Felsbrocken einer Endmoräne. Aber die Methode nutzt sich schnell ab. Schon die erste Szene ist vor allem – lang. Es fehlt Theater-Drive, es fehlt ein dramatischer Kern. Es wird virtuos mit geschlossenen Formen gearbeitet, etwa im, dramaturgisch allerdings vollkommen überflüssigen Frauenterzett um den Kauf eines Hochzeitskleids, aber dabei gerät die Komposition auch in gefährliches Fahrwasser, besonders bei dem dilettantisch angelegten, vom Aachener Chor so gut wie eben möglich absolvierten Chorauftritt. Die wenigen zielführenden Motive, die subtilen dramatischen Signaturen in der Dialogführung, die durchaus vorhanden sind, verschwinden unter den dominanten Klangbrocken. Da nützt es auch nicht, dass GMD Kazem Abdullah auf hohem Niveau interpretiert und – wo immer möglich – gestaltet, dass das Aachener Orchester zeigt, dass es der ungewöhnlichen Herausforderung deutlich gewachsen ist, dass das große, mit Solochoristen durchsetzte Sängerensemble ohne Ausfälle daherkommt und neben den Protagonisten mit Ceri Williams und Polina Artsis noch zwei Sängerinnen aufbietet, die vermutlich mit jeder Musik zum Hinhören zwingen.