Übrigens …

Romeo und Julia auf dem Dorfe im Bielefeld, Stadttheater

Der Tod kommt unausweichlich

Gottfried Kellers Novelle Romeo und Julia auf dem Dorfe ist die Studie einer Liebe, die an der Realität nicht bestehen kann. Sie muss zerbrechen an der pragmatischen Hartherzigkeit ihrer Umgebung und dem rücksichtslosen Streben nach Besitz.

Frederick Delius, gebürtiger Engländer mit ostwestfälischen Wurzeln, nutzt Kellers Werk als Basis für seine gleichnamige Oper, filtert aber alle Elemente der Gesellschaftsanalyse heraus. Delius konzentriert sich allein auf die psychologischen Aspekte tiefer Gefühle, die nicht sein können.

Vrenchen und Sali, Kinder zweier Bauern, lieben sich seit jeher. Als ihre Väter im Streit um ein Stück herrenloses Land sich verfeinden und der Prozess darum beide Familien arm und obdachlos macht, müssen die beiden erkennen, dass ihre Beziehung keinen Bestand haben kann in einer Gesellschaft, die durch Formen und Zwänge bestimmt ist. Auch der fahrende Schwarze Geiger, der Vrenchen und Sali von Kindheit an immer wieder begleitet, kann ihnen keinen Ausweg bieten. Er offeriert ihnen ein ungebundenes Leben in nicht legalisierter Liebe. Aber die beiden wissen: auch so können sie nicht glücklich werden. Und so bleibt am Ende nur der gemeinsame Selbstmord.

Delius findet eine ganz fein ausdifferenzierte Tonsprache für alle Facetten und psychischen Bewegungen. Da hört man Wagner, den Parsifal und immer wieder Anklänge an Tristan und Isolde. Oft bewegt sich die Musik aber auch wie Wellen, die sich aufbauen zu einer Flut und dann ganz leise am Strand zerschellen. Das Orchester gibt dieser Oper nicht nur ein Fundament, sondern ist ihr Herzstück. Die Gesangslinien sind völlig mit dem Klang verwoben und quasi Teil des Orchesters. Alexander Kalajdzic und die Bielefelder Philharmoniker bringen Delius’ sensibles Klanggewebe mit ganz viel Gespür für Feinheiten sehr nuanciert zur Geltung.

Und Regisseurin Sabine Hartmannshenn sucht und findet schöne Bilder. Das ist nicht ganz einfach bei einem Werk, bei dem auf der Bühne eigentlich nicht viel passiert. Kaspar Zwimpfer baut ein Podest mit überdimensionalen Schiebetüren – angelehnt an die Papierwände japanischer Häuser. So gelingt es dem Regieteam auch Traumszenen wie aus dem Off wunderbar visuell wirksam werden zu lassen.

Hartmannshenn versucht dennoch auch Gegensätze zu verdeutlichen, holt dazu ein wenig „Keller“ zurück in die Oper, setzt die Rohheit der Väter ins Bild und stellt eine von Susana Mendoza gamsbartbewehrte, lodengrün eingekleidete, egoistisch-brutale Jahrmarktgesellschaft auf die Bühne. Demgegenüber stehen Vrenchen und Sali durch ihre das ganze Leben begleitende rote Schirme als winzige Fünkchen von Hoffnung. Und ganz zart wird man Zeuge eines ersten Selbstmordversuchs, den Hartmannshenn einbaut. Eigentlich wollen die Liebenden in den „Paradiesgarten“ – eine Kneipe, in der sich die Ausgestoßenen der Gesellschaft amüsieren. Aber Vrenchen merkt schon vorher, dass sie sich ihren eigenen Paradiesgarten schaffen muss. So ritzt sie sich mit einer tief berührenden Bedächtigkeit die Pulsadern auf und reicht das Messer dann an Sali weiter. Auch wenn der Schwarze Geiger sie noch einmal rettet – schon an dieser Stelle gibt es kein Zurück ins Leben mehr.

Das Solisten-Ensemble fügt sich ein in einen ganz runden Abend, so wie auch der von Hagen Enke einstudierte Chor sowie die Sängerinnen und Sänegr der kleineren Rollen. Trotz teilweise aufbrausender Klänge ist hier eine in ihrer Gänze eher stille und bedenkenswerte Inszenierung gelungen.

Ausgezeichnet singen die Protagonisten: Daniel Pataky ist ein aufbegehrender Sali, der sich erst ganz zum Schluss der Unabwendbarkeit des Todes beugt. Sarah Kuffners Vrenchen sieht eher voraus und lenkt ihren Geliebten mit wunderbaren, weichen Tönen zur Einsicht. Einen großen Abend hatte auch Frank Dolphin Wong als Schwarzer Geiger.

Doch dies irritiert: Der unsäglich veraltete hausbackene deutsche Text. Der konterkariert manche innige Szene und zerstört deren Wirkung. Insgesamt aber ist Romeo und Julia auf dem Dorfe eine echte Entdeckung, deren volle Schönheit sich aber wahrscheinlich erst beim zweiten Hören erschließen wird.