Ein bisschen Sex und die Sache mit der Vergänglichkeit
Ein wunderbar leuchtender Sternenhimmel wie auf einer Kitschpostkarte – die beste Kulisse für eine glühende Liebesnacht im üppigen Rokoko-Bett. Diesem Vergnügen geben sich die Marschallin und Octavian im ersten Akt des Rosenkavaliers mit großer Freude hin, wie später auch Octavian und Sophie an gleicher Stelle. Und der Ochs ist sowieso nur auf das Eine aus...
Jens-Daniel Herzog will zeigen, dass seine Figuren Sex als Mittel gegen ihre eigene Endlichkeit ansehen und ihm deshalb ausgiebig frönen. Außerdem geht es ihm um die Vergänglichkeit von Herrschaftssystemen. Dazu baut ihm Mathis Neidhardt nach dem prächtigen Rokoko-Boudoir ein modernes Wohnzimmer, das gerade nach Plänen des Herrn von Faninal frisch möbliert wird - und sich im dritten Akt zerstört und um 90 Grad gedreht wiederfindet.:Die Mutation eines fürstlichen Gemachs in ein Séparée eines Wiener Hinterhof-Beisls.
Aber ein Bühnenbild allein (auch nicht in Kombination mit den schicken, geschmackvollen und historisch passenden Kostümen Sibylle Gädekes) kann nicht den Rahmen setzen für eine Interpretation, kann nicht deren Inhalt sein. Denn Herzog geht weiter nicht auf sich ändernde Zeiten ein und setzt, weil der Sex-Akzent für dreieinhalb Stunden nicht reicht, weitestgehend auf Witz und Komik – das allerdings mit durchwachsenem Ergebnis. Tummelt sich im Salon der Marschallin das Personal doch genauso, wie man es in vielen anderen Inszenierungen zu sehen bekommt: da sind eine stylische Hutmacherin, ein eitler Sänger und ein tuntiger Friseur. Das ist hinlänglich bekannt. Aber auch die libretto-inhärente Stolperei des lerchenauischen Gefolges wirkt auf der eingebauten schrägen Ebene genauso wenig komisch wie dessen Verfolgung der Zimmermädchen. Und wenn im dritten Akt Octavian zur Travestie-Domina mutiert, mag man das allenfalls als einigermaßen erheiternd finden.
Auch wenn es gute Ideen gibt: wirklich trägt Herzogs Konzept nicht über die Dauer der Oper. Das liegt sicher auch daran, dass hinter der Aneinanderreihung von Gags die Figuren relativ blass bleiben. Das gilt am wenigsten für den Ochs, dem Karl-Heinz Lehner Statur gibt. Er ist einfach ein wunderbarer Darsteller. Und wenn ein Österreicher wie er diese Rolle übernimmt, ist das natürlich auch sprachlich eine Ohrenweide. Ein wenig fehlt es ihm stimmlich an Tiefe und so ist sein Ochs eher schlitzohrig denn polternd.
Ileana Mateescu ist als Octavian eine Entdeckung – in den unteren Lagen volltönend, oben klar. Und sie gibt ihrer Figur eine Ungelenkheit, die mit postpubertärer Unsicherheit bestens einhergeht.
Etwas blasser bleibt da Ashley Thouret als Sophie. Von der Regie meist eher dekorativ angelegt, kann sie sich stimmlich nicht immer ins Licht setzen. Sie hat zwar alle Töne, aber es fehlt ihr an Kraft und Durchsetzungsfähigkeit. Die wird sie aber sicher noch genauso entwickeln wie Emily Newton, deren Debüt als Marschallin am Premierenabend etwas distanziert daher kommt. Aber Newton wird ihre „ganz persönliche“ Marschallin sicher noch im Laufe der Repertoire-Vorstellungen entdecken.
Mit großer Spiel- und Sangesfreude agieren alle anderen Beteiligten auf der Bühne. Strauss und Hofmannsthal fordern ja schon eine ganze Masse an Personal, das zu stellen der Dortmunder Oper kein Problem bereitet. Opernchor und Kinderchor der Chorakademie Dortmund leisten da ganze Arbeit! Gabriel Feltz steht am Pult der Dortmunder Philharmoniker, die ganz transparent filigrane Töne, bizarre Klangmischungen herausarbeiten, die in der Partitur stecken. Wirklicher Glanz und schäumendes Orchester-Fortissimo, etwa zu Beginn des 2. Aktes, will sich gleichwohl nicht recht einstellen, was gewiss der widrigen Akustik des Hauses geschuldet ist, in der selbst ein Riesenapparat wie der für den Rosenkavalier immer irgendwie gedeckelt wirkt.
Das Premierenpublikum im – für Dortmund recht selten – so gut wie vollbesetzten Haus war schlichtweg begeistert und belohnte die musikalische wie die szenische Seite dieser Inszenierung mit kräftigem Beifall.