Drei Köpfe zum Geburtstag
Im Caféhaus. Einer schreibt, andere lesen Zeitung. Kellner wuseln lautlos um die Tische, servieren Kaffee oder Rotwein. Manche scheinen in Unterhaltung vertieft, mancher hüllt sich in Schweigen. Die Atmosphäre ist kühl – einfache Tische und Stühle statt bequemer Sessel, der Schachbrett-Marmorboden glänzt in schwarzweiß. Alles wirkt so geschäftig wie friedlich, doch dann bricht das große Drama herein. Es trägt auch einen Namen: Salome.
Der Blick auf dieses Bild, das eingefriedet ist von güldenem Rahmen, der den Eindruck des künstlichen Zurschaustellens noch verstärkt, kommt zunächst einem Affront gleich. Nichts ist zu sehen von Orientstimmung am Hofe des Herodes, wie ihn die Exotismen in Richard Strauss’ Musik andeuten. Kein Mond scheint auf, und von nahöstlicher Prachtentfaltung kann nirgends die Rede sein. Hier, auf der Bühne der Bonner Oper, dominiert die Dekadenz der „Roaring Twenties“, tragen die Damen Pagenkopf und Flitterstola, während die Herren in ihren Uniformen wie eine Operetten-Soldateska anmuten. Ja geht’s denn hier zur Csárdasfürstin?
Doch gemach: Was zunächst nach Entschlackung aussieht, nach Verweigerung jeglicher optischen Opulenz, entpuppt sich als feine psychologische Studie. Der Schlüsselsatz dazu findet sich bei Herodes, wenn er zu Salome spricht: „Sieh, ich habe Dich immer lieb gehabt. Kann sein, ich habe Dich zu lieb gehabt“. Ja, und dies auf eine rüde, schmierige Art: Hier wird, im Caféhaus der gediegenen Art, sexueller Missbrauch verhandelt.
Das erschließt sich allerdings vollends erst im zweiten Teil dieses Einakters, nach der Begegnung Salome-Jochanaan, wenn die Zurückgewiesene und Verfluchte plötzlich eine kleine Puppe heranschleppt – das Symbol ist allzu eindeutig. Krass aber wird es zum „Tanz der sieben Schleier“: Während ein Paar (mit Salome-Double) in Walzerfiguren schwelgt, in edelster Formationstanzmanier, beginnt bei der Prinzessin die große Rückverwandlung in die Kindheit. Sie zittert voller Angst, wirft sich ins niedliche Matrosenkleidchen und wird gepeinigt von Erinnerungen.
Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka, als Regie- und Ausstattungsduo ein bewährtes Team, zeichnen ihre Salome messerscharf. Wenn sie sich als Prinzessin von Judäa in Positur wirft, ist das nur Behauptung. Wenn sie aber das Trotzköpfchen
herauskehrt, vor allem aber, wenn sie ihr Neugiergesicht aufsetzt oder die Miene der Genervten und Gelangweilten, dann steht beinahe ein Kind vor uns. Dessen scheinbare Überlegenheit (gegenüber Jochanaan) ob des Fluches in blankes Entsetzen mündet.
Diese Salome-Deutung also ist bestenfalls in zweiter Linie die Gegenüberstellung vom Leben sündhafter Menschen und den Mahnungen eines gläubigen Gottesmannes. Deshalb ist eigentlich folgerichtig, dass die Begegnung der Prinzessin mit dem Propheten nur eine etwas überzeichnete Unterhaltung ist. Salomes Wahn aber zielt hier nicht auf Jochanaan. Er ist nur Projektionsfläche für die Rache am Stiefvater, an der Mutter. Wie in einer Traumsequenz endet der Schleiertanz im großen Gemetzel, wird klein Salome zum Kindergeburtstag mit Kuchen beschenkt – bis der Ober am Tisch drei Köpfe serviert.
So verliert das Drama, trotz allen kühlen Ambientes, nicht seine Schockerqualität. Das Ensemble stellt sich dabei spielfreudig und wendig in den Dienst der Sache. Salomes Irrlichtern gewinnt bei Nicola Beller Carbone größte Plastizität. Die Variabilität ihrer Stimme ist enorm. Wenn auch die großen lyrischen Szenen besser gefallen als die Gestaltung der ariosen Elemente. Ihr Widerpart Mark Morouse (Jochanaan), der in seiner abgerissenen Uniform aussieht wie eine Art Underdog, der einst zu dieser vornehmen Gesellschaft gehörte, singt mit ausdauernder Kraft und gehöriger Dämonie. Roman Sadnik (Herodes) ist endlich einmal ein sonorer Tenor, der sich nicht in Überzeichnung retten muss, Anjara I. Bartz gibt die Herodias mit kernigem Mezzo. Beide haben die Liebe längst aus den Augen verloren und zählen ihre Liebschaften. Als einzig vernünftiger Kerl, als armer, unsinnig verliebter Tropf, glänzt Johannes Mertes heldentenoral in der Rolle des Narraboth.
Sie alle müssen gegen das Beethoven Orchester Bonn unter Stefan Blunier kaum ansingen. Die klangliche Transparenz ist groß, die filigrane Farbigkeit des Instrumentierungsmeisters Richard Strauss gewinnt schöne Kontur. Die schroffen Seiten dieser Musik, die Explosionen, die brachialen motivischen Überlagerungen aber werden bisweilen hergeschenkt. Insgesamt eine szenisch sehr beachtenswerte, musikalisch gute Produktion.