Übrigens …

Joseph Süß im Theater Münster

Von Machtgier, Prunksucht, Verrat und Liebe

Am Ende senkt sich ein feuerroter Käfig vom Schnürboden herab, in den Joseph Süß-Oppenheimer hineingesperrt und wieder in die Höhe gezogen wird. Das weckt bei Münsteranern augenblicklich Assoziationen an die drei Käfige von St. Lamberti – mit einem entscheidenden Unterschied: in die Käfige der Stadt- und Marktkirche wurden einst die Leichen der Wiedertäufer öffentlich zur Schau gestellt, Rädelsführer einer Sekte, die im 16. Jahrhundert hier eine Gewaltherrschaft etablieren wollten. In dem eisernen Gefängnis auf der Opernbühne des Theaters Münster steckt dagegen ein Mensch, der als Sündenbock herhalten muss und nach einem krassen Fall von Rechtsbeugung zum Tode verurteilt wird. Eben jener Joseph Süß, Hauptfigur der 1999 uraufgeführten Oper von Detlev Glanert.

Die Geschichte ist historisch verbürgt und endet 1738 in Stuttgart, wo eine frenetisch johlende Menge das Todesurteil bejubelt. Hier setzt Glanerts Oper ein – sie wirft den Blick zurück auf die Mechanismen von Macht und Verrat, auf fiese, egoistische Gestalten, die letztendlich für das Schicksal von Joseph Süß verantwortlich sind. Es ist ein retrospektiver Blick aus Süß’ Gefängniszelle mit Wänden, die aus Goldbarren gebaut sind – Signum für den, so das Klischee, geldgierigen und beständig Reichtum anhäufenden Juden. In dreizehn Szenen bebildern Detlev Glanert und mit ihm Regisseur Guy Montavon, wie es zu Aufstieg und Fall des Finanzrates Süß am Hofe Karl Alexanders zu Württemberg kommen konnte. Ein toller Stoff für eine Oper, die an Dramatik nichts zu wünschen übrig lässt.

Das Personal steckt in barocken Kostümen, agiert aber vor einer silbern verspiegelten, kühlen und zeitlosen Kulisse. Wunderbar wird dabei der Gegensatz von weiß-gesichtsloser Hofschranzenmasse und dem ganz in Rot gekleidetem Außenseiter Süß deutlich. So schlagen Montavon und sein Ausstatter Peter Sykora eine Brücke vom Damals ins Heute. Und Transparente mit der Aufschrift „Juden sind in unsern deutschen Wäldern nicht erwünscht“ sowie grottige Judenwitze ganz zu Beginn der Oper thematisieren das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Joseph Süß im „güldenen“ Gefängnis: er wehrt sich gegen Schritte, die ihm das Leben schenken könnten. Keine Konversion zum Christentum. Nein! Er denkt nicht an Zugeständnisse, glaubt wohl anfangs auch, seine gesellschaftliche Stellung bewahre ihn vor dem Todesurteil. Weit gefehlt, denn sein Herr, der Macho-Herzog Karl Alexander, der nichts anderes im Kopf hat als Sex und Prunk, verweigert ihm die Protektion. Süß’ Tochter und deren Erzieher, der tiefgläubige Jude Magus, sind erfolglos bei dem Versuch, den Finanzrat aus den Kreisen der pervertierten Hofgesellschaft herauszuziehen. Steckt er schon viel zu weit da drin? Hat er sich an seinem Erfolg zu sehr delektiert, sich an ihn gewöhnt, auch an die Annehmlichkeiten seiner Stellung?

Glanert kleidet die dreizehn Szenen seiner rund 90-minütigen Oper in plastisch erfahrbare Klänge, die mitunter regelrecht körperlich spürbar werden und große Emotionen wecken – was vor allem dem superb vorbereiteten Sinfonieorchester Münster zu verdanken ist. Dirigent Thorsten Schmid-Kapfenburg, seit etlichen Jahren eng vertraut mit Glanert und seiner Musik, lässt irisierende Farben entstehen, eine weite Spanne Couleurs von bedrohlicher Dunkelheit bis hin zu gleißender Schärfe, die vom ausgezeichnet singenden und sich auf der Bühne perfekt bewegenden Chor samt Extrachor noch forciert wird. Das lässt am Premierenabend mehr als nur einmal das Blut in den Adern gefrieren.

Sängerisch kann das Theater Münster mit einem Ensemble punkten, dass sich mit Haut und Haaren in Montavons Inszenierung hinein versenkt. Gary Martin ist ein markanter Joseph Süß, der sich mit großem Selbstbewusstsein in sein Schicksal fügt bis hin zum bewegenden Schluss-Lamento. Gregor Dalal verkörpert zutiefst glaubwürdig den Herzog Karl Alexander: egomanisch, aggressiv, despotisch, protzig. Die Rolle des fiesen Magistralrats Weissensee, Joseph Süß’ größtem Widersacher bei Hofe, füllt Youn-Seong Shim mit seinem hellen, quirligen Tenor überzeugend aus. Henrike Jacob ist eine gefühlvolle Magdalena, Weissensees Tochter und Süß-Geliebte, vom Herzog missbraucht. Lisa Wedekind als Süß-Tochter Naemi ist zwar wenig gefordert, doch wo sie zu singen hat, tut sie dies mit lyrischem Balsam, während Eva Bauchmüller als Opernsängerin Graziella das tut, was man am Hof von ihr verlangt: schwindelerregende Koloraturen zu zwitschern. Auch auf Juan Fernando Gutiérrez als Rabbiner Magus ist stimmlich wie darstellerisch absolut Verlass. Der Henker schließlich, eine anspruchsvolle Sprechrolle, ist bei dem musikalisch ausgezeichnet deklamierenden Helge Salnikau in besten Händen.

Mit Glanerts „Joseph Süß“ feiert nicht nur das Regie-Team einen großen Erfolg – auch die Musiktheater-Sparte in Münsters Haus bietet mit dieser Produktion ganz klar ein Highlight in der aktuellen nordrhein-westfälischen Opernszene. Jetzt bleibt zu hoffen, dass – wie so oft in Münster – die Mund-Propaganda anläuft und Wirkung zeitigt. Das Premierenpublikum jedenfalls war schwerstens beeindruckt von 90 intensiven Minuten, deren Qualität sich schleunigst herumsprechen sollte.