Übrigens …

Les Contes d'Hoffmann im Oper Bonn

Gelungener Saisonabschluss

Man sehe sich einmal die bei Youtube greifbaren Szenen aus L’elisir d’amore in Sao Paulo an, um in Sébastien Guèze einen geradezu phänomenalen Bühnendarsteller zu erkennen, Schlank und gut aussehend ist er zudem versehen mit einer alerten, flexiblen und höhensicheren Stimme. Der Tenor aus Lyon, Mitte dreißig, rette jetzt als Einspringer die Premiere von Offenbachs Les Contes d’Hoffmann in Bonn. Hier hatte er eine andere Fassung zu singen als zuletzt in Wiesbaden, die er in nur wenigen Tagen einstudierte. Es ist zu hoffen, dass Sébastien Guèze auch für die kommenden Aufführungen zur Verfügung steht.

Wie zuletzt bei Salome war bei Contes d’Hoffmann ein festes Künstler-Duo am Werk, welches die fantastische Oper mit fantastischen Einfällen wahrlich erlebnishaft gestaltet: Renaud Doucet (Regie) und André Barbe (Ausstattung). Die beiden geben unumwunden zu, dass für sie Bühnenarbeit etwas mit Show zu tun hat. Die bekommt man auch wahrlich geboten. Doch begnügt sich die optisch üppige Aufführung nicht mit dekorativen Äußerlichkeiten. Interpretatorischer Ansatz ist die Rache des Teufels (in Gestalt der vier „Bösewichter“), wurde dieser doch von Offenbach in seinem Orpheus veralbert. Die Handlung findet in einem teilzerstörten Theater ab, was an den tragischen Brand bei der Wiener Erstaufführung des Werkes 1881 erinnert. Bei der Barcarole schweben Wassernymphen am Bühnenhimmel entlang; immerhin stammt diese populäre Nummer aus den Rheinnixen.

Auch sonst gibt es Anspielungen und Assoziationen zuhauf. Im Antonia-Akt, einer eiseskalten Schneelandschaft, erinnert das Schwarz-Weiß beispielsweise an die Bildästhetik von Stummfilmen, und Mirakel agiert als ein Alter Ego von Nosferatu. Der Wechsel von Zeitebenen und -stilen mag nicht immer gänzlich zwingend sein, aber er regt die Fantasie des Zuschauers an, schafft gedankliche Verbindungslinien. Die Muse erhält bei Doucet/Barbe wirklich einmal den von Offenbach gewünschten Mittelpunkt-Status. Der Komponist selber tritt immer wieder mal Cello spielend in Erscheinung und ist am Ende (statt Hoffmann) der eigentlich Gefeierte.

Die Rezeptionsgeschichte von Les Contes d’Hoffmann ist ein Abenteuerroman eigener Art. Noch 1993 tauchten verschollen geglaubte Originalmanuskripte auf, die von Michael Kaye und Christophe Keck (denen man auch die Wiederherstellung des Fantasio verdankt) mit dem „Altmaterial“ zu einer nunmehr fast authentisch zu nennenden Version kompiliert wurden. Ob davon wirklich jede Note in Bonn erklingt, lässt sich ohne Prüfung des Notenmaterials natürlich nicht sagen. Als relative Novitäten fallen immerhin auf: Gesang der Muse (1. Akt solo, 5. Akt mit Ensemble), die Geigen“arie“ des Niklausse im Antonia-Bild, das Giulietta-Chanson „L’amour lui dit la belle“ sowie einige Gesangspassagen der Stella. Dass man Dappertutto die traditionelle „Spiegelarie“ (genauer „Diamantenarie“) belässt, mögen Akribisten tadeln, doch ist dieser Entscheid sowohl musikalisch als auch dramaturgisch durchaus zu rechtfertigen. Und diese Nummer ist nun einmal ein Juwel und gibt dem potenten Martin Tzonev überdies Gelegenheit, sich auch mal wieder als Belcanto-Sänger in Erinnerung zu bringen, was sein stets so plastisches Bühnenspiel attraktiv ergänzt.

Netta Or verkörpert alle vier Frauengestalten: Olympia, Antonia, Giulietta und Stella, ein Rollendebüt (wie auch die Armida in Rinaldo, ebenfalls Bonn). Es ist imponierend, mit welcher Souveränität die Sängerin Koloratur, lyrischen Ausdruck und Divengehabe interpretatorisch und stimmfarblich unter einen Hut bringt. Beim Olympia-Lied kommt noch das belustigend mechanische Gebärdenspiel hinzu. Der helle, klangvolle Mezzo von Susanne Blattert ist für die Doppelpartie La Muse/Niklausse ideal, Christian Georg brilliert in den Dienerfiguren. Dass er den Andrès an Johannes Mertes abgibt, welcher vor allem als überdrehter Spalanzani verkörpert, ist rollendramaturgisch zwar nicht ganz „korrekt“, geht aber doch in Ordnung. Vokal etwas zurückhaltend wirkt Charlotte Quadt als Antonias Mutter, während sich Jonghoon You (Nathanael) mit seinem schönen Tenor für größere Aufgaben empfiehlt. Exzellent gibt sich der Bonner Chor, das Beethoven-Orchester unter Hendrik Vestmann wirkt hier und da etwas ruppig, doch insgesamt ausreichend spritzig und klangsüffig. Die von Bernhard Hellmich direktoral verantwortete Saison hätte kaum besser abgerundet werden können wie mit dieser reich gestalteten Aufführung.