Übrigens …

Rigoletto im Gelsenkirchen, Musiktheater im Revier

Ein Nachtstück

Schwarz, schwärzer – Rigoletto: So extrem als finsteres Nachtstück hat wohl noch kaum ein Regisseur Verdis Realismus-Reißer Rigoletto inszeniert wie jetzt im Großen Haus des Gelsenkirchener Musiktheaters Generalintendant Michael Schulz. Ein Außenseiter, der grobe Antiheld Rigoletto, wird zum Mörder, weil er die Rituale der gierigen Höflinge und die amourösen Eskapaden des geilen Herzogs missachtet, ignoriert oder einfach nicht wahrhaben will. So spielt die Regie die „Causa Rigoletto“ bis zum fatalen Ende konsequent als Krimi-Show durch. Keine Hoffnung, keine Sehnsucht, kein Funken Liebe bleibt. Das Geschehen rollt ab wie eine trostlose, antike Tragödie: In dieser Spirale des Todes, ausgelöst durch Verblendung und Intrige, haben die naive Gilda und ihr verzweifelter Vater keine Chance. Rigoletto ist zugleich Täter und Opfer dieser brutalen, oberflächlichen, zynischen Gesellschaft am Hofe von Mantua. Eine italienische Stadt als Ort der privaten und moralischen Katastrophe? Mitnichten. Schulz zielt in der weitgehend abstrakten Ausstattung von Kathrin-Susann Brose auf das Heute, auf die Moderne, auf die Gegenwart in einer Stadt wie Gelsenkirchen… Miese, fiese Typen gab und gibt es immer. Und Menschen, die vor den Wirklichkeiten den Kopf in den Sand stecken, ebenfalls. So das Schulzsche Konzept. Er ist, das hat er öfter schon bekannt, ein Fan des Comics und des Fantasy-Films: Da liegen Darkman oder Sin City also ganz nah dabei. Schulz lässt keine feinere Differenzierung der Charaktere und der sozialen Bedingungen zu. Rigolettos Verhältnis zur über alles geliebten Tochter, die er jedoch nicht vor der Welt „da draußen“ zu schützen vermag, ist längst zerstört. Schulz legt sich fest und schert sich um keine sensible Deutung des Thrillers, der schmerzlich abläuft wie ein „film noir“, wie Kino mit viel grandioser Musik.

Für diese ist Rasmus Baumann verantwortlich. Unerbittlich peitscht er den gnadenlosen Fall einer totalen Fehleinschätzung mit der Neuen Philharmonie Westfalen durch. Es gibt kaum ein Atemholen: Ein Hieb folgt dem nächsten. Der Dämon des Untergangs grinst zu jeder Minute aus dem Orchestergraben. Aber Baumann „rettet“ die melodische Substanz des italienischen Maestros: Ein musikalischer Parforceritt durch die Nacht, die keinen Morgen kennt.

Das Musiktheater im Revier, das letztmalig Verdis Rigoletto 1989 auf die Bühne brachte, besitzt Verdi-Stimmen, die das leidenschaftliche Element vorantreiben – es sind keine großen, dramatischen Profile. Wohl aber Sängerinnen und Sänger, die Belcanto-Blut in den Adern (auf der Zunge) haben, die Verdi als große Chance für sich und ihre sängerische Entwicklung sehen. Nur die Titelpartie, mit dem griechischen Bariton Aris Argiris besetzt, der nach vielen Jahren wieder einmal einen Abstecher ans MiR als ehemaliges Startinstitut macht, ist mit einem Kraftpaket besetzt: ein Sänger, der in den Wirren des Hofes mit seinen Gemeinheiten untergeht. Und er kann sogar dabei noch „schöne“ Vokallinien formen.

Hongjae Lims Duca klingt (noch) ein wenig zu schmal, Alfia Kamalova stattet die Gilda mit bestem Hoffnungs-Sopran und lichten Höhen aus, Dong-Won Seo als Sparafucile bringt die Nachtschwärze in seinem Bass zum Klingen. Auch die kleineren Partien sind angemessen besetzt.

Es gab große Zustimmung für die musikalische Ebene, das Einheitsdunkel der Produktion gefiel dagegen nicht allen im ausverkauften Haus.