Mut und Manschetten
Markus Bothe lässt beide Werke pausenlos hintereinander spielen, nur pro forma verklammert durch den Bach-Choral „Es ist genug“. Das ist durchaus als Wagnis zu bezeichnen, da sich beide Stücke musikalisch extrem voneinander unterscheiden, zumal die Ekklesiastische Aktion, Bernd Alois Zimmermanns letzte, fünf Tage vor seinem Freitod fertig gestellte Komposition, für den Konzertsaal geschrieben ist.
Dennoch ergibt sich, sozusagen als Antithese zu der beide Werke verbindenden Großinquisitor-Thematik, fast wie von selbst die durchgängige Dekonstruktion eines Menschen, vom Aufflackern der Hoffnung in der ersten Szene des Prigionero bis zum buchstäblichen Auslöschen der Persönlichkeit am Ende der nachtschwarzen, hoffnungslosen Ekklesiastischen Aktion. Bo Skovhus spielt diesen Menschen. Er entscheidet den Erfolg der ungewöhnlichen Aufführung. Als einziger hell gekleidet wankt und taumelt er durch diese Aufführung. Oft scheinen einzelne Gliedmaßen sich zu verselbstständigen. Seine Stimme durchläuft zahlreiche Metamorphosen, klingt belegt vor Angst, dann wieder hoffnungsklar, dann verzweifelt, lässt uns teilhaben an dem schrecklichen Auslöschungsprozess. Sein oberster Gegenspieler ist das Bühnenbild von Reinhard Schweer, zu Beginn eine mit Buchstaben bedeckte Betonwand, in die das Verließ des Gefangenen eingelassen ist. Später teilt sich die Wand. Durch Skovhus‘ suggestives Spiel entsteht ein Labyrinth, indem er verfolgt wird und Begegnungen hat ohne wirklich gesehen zu werden. Der Prigionero endet mit einem sonderbar überhöhten Kitschplakat: Der Gefangene hängt am Kreuz, die Mönche, die vorher die Bühne bevölkert hatten, werfen ihre Kutten ab und stehen in Rot-Weiß da wie Karnevals-Kardinäle.
Dann fährt die Wand zu den Seiten. Übrig bleibt ein geschlossener Kasten, in dem die Lage des Gefangenen noch hoffnungs-, vor allem noch wortloser ist als vorher am Kreuz. Nun ist er im riesigen Raum zwei mono- und dialogisierenden Sprechern ausgeliefert und hat nur einzelne Sätze und Sentenzen zur Verfügung, jenen teilweise abgelauscht und oft zur Unkenntlichkeit wiederholt und fragmentiert. Und Zimmermanns Musik, die teilweise aus dem geschlossenen Rang der Oper am Dom erklingt, löst sich langsam und unerbittlich auf wie in einem Säurebad.
Gabriel Feltz disponiert den Abend souverän, moduliert Dallapiccolas oft opulent instrumentierte Zwölftonketten genauso souverän wie Zimmermanns erschütternden Erosionsprozess. Feltz zeigt mit dem engagierten Gürzenich-Orchester und dem klangschönen Chor, wie sehr beide Kompositionen auf die Stille bezogen sind, ihr entkommen, in sie einzugehen suchen, sie teilweise wie Ballast auf oder in sich tragen. Dazu kommt eine vorzügliche Supporting Cast, angeführt von Raymond Very als Kerkermeister und Stephan Rehm, der den Anfang von Dostojewskis Großinquisitor-Erzählung aus Die Brüder Karamasov geradezu unheimlich suggestiv vorträgt.
Bleibt ein problematischer Rest: Die beschriebenen Vorgänge sind zum großen Teil ausschließlich geistig vermittelt. Die theatralische Substanz der Stücke wirkt oft nicht ausformuliert, nicht angegriffen. Als scheute das Regieteam vor den klaren Haltungen der Komponisten zurück, dem Schrei nach Freiheit und der Unterwerfung unter die eigene Hoffnungslosigkeit. Als ließen sich solche Haltungen inhaltlich heute nicht mehr eindringlich und verstehbar herausschleudern und/oder versinnlichen. Ist das wirklich so? Ich hoffe nicht.