Eine turbulente Ozeanüberquerung
Es ist eine kunterbunte Gesellschaft, die sich da im New Yorker Hafen versammelt, um auf der MS America nach Europa zu schippern. Neben den Schönen und Reichen und denen, die dafür gehalten werden wollen, auch noch jede Menge recht skurriler Typen. Da ist die durch den Börsenkrach verarmte Witwe Harcourt samt Tochter Hope, die den Familienwohlstand durch die Ehe mit dem spleenigen Lord Oakleigh retten soll: der Börsenmagnat Elisha Withney und sein Assistent Billy, der rettungslos in Hope verliebt ist sowie ein echter und ein falscher Missionar, der so gern Al Capone wäre, eine Gangsterbraut, die sich der gutaussehenden Matrosen annimmt und die hinreißende Nachtclubsängerin Reno. Cole Porter gruppiert in Anything Goes also eine hochexplosive Mischung auf dem Überseedampfer.
Intendant Ulrich Peters und seinem Regieteam gelingt es aber, alle mit ruhiger Hand durch stürmische, turbulente Fahrwasser zum allumfassenden Happy-End zu führen. Bernd Franke baut ein Schiff – im ersten Teil das Deck mit Kapitänsbrücke , im zweiten einen Club im inneren Teil, den man heute auf den Aidas oder sonstigen Schiffen der Kreuzfahrtflotte wohl als Showroom bezeichnen würde. Und überall ist Bewegung auf der Bühne, ständig gibt es etwas zu sehen. Dabei lässt Peters seine Akteure jedoch nie in Hektik verfallen und die herrlichen Dreißiger-Jahre Kostüme Götz Lanzelot Fischers tragen dazu bei, dass ein großer optischer Augenschmaus herbeigezaubert wird.
Und dennoch: Anything Goes kommt etwas schwer in Gang. Das liegt zum einen daran, dass der erste Teil deutlich sprachlastig ist, der Humor des deutschen Librettos auch bisweilen in Klamauk abgleitet. Das aber wird zum Ende hin immer besser, denn hier gibt die Musik den Ton an. Wenn Sängerin Reno dann mit ihren Girls Porters perfekte Parodie auf einen evangelikalen Erweckungsgottdienst darbietet, ist die Show in vollem Gange.
Ulrich Peters gelingt vor allem eines: drei Sparten seines Hauses und Gäste zu einer höchst ansehnlichen Zusammenarbeit zu verbinden: Für das TanzTheaterMünster schafft Stefan Haufe keine spektakuläre, aber eine höchst dekorative Choregrafie. Wer möchte sich in Münster eine Operette, ein Musical noch ohne Tanz vorstellen? Dann sind da die Musicalprofis Nathanael Schaer als Billy und Corinna Ellwanger (Hope), Katharina Schutza (Erma) und vor allem die temperamentvolle Marysol Ximénez-Carillo als umwerfende Reno. Sie alle haben diesen so genretypischen Schmelz in der Stimme.
Dazu gesellt sich Suzanne McLeod aus dem Opernensemble als Evangeline Harcourt, die mit Bühnenpräsenz glänzt und mit einem höchst virtuosen Ohnmachtsanfall. Die Damen und Herren des Opernchors Inna Batyuks können in vielfältigen kleinen Rollen ihre gesanglichen und auch schauspielerischen Qualitäten zur Geltung bringen. Das macht einfach Spaß.
Spaß macht es auch zu sehen, wie die Schauspieler die Mischung aus Spiel und Gesang aufgreifen und - ein klein wenig anarchischer - Teil des Ganzen werden. Da ist der wunderbar quirlige Tom Ohnerast als quirliger Zahlmeister, der anscheinend immer überall ist, da ist Frank-Peter Dettmann als hanseatischer Kapitän und Gerhard Mohr, der den amerikanischen Börsenspekulanten mit allen typischen Attributen gibt. Aurel Bereuter als falscher Priester und Möchtegern-Ganove hat immer den richtigen Spruch auf den Lippen und bringt das Geschehen immer wieder durcheinander. Der Höhepunkt aber ist sicher Christoph Rinke als Lord Oakleigh. Wie er – very british – zwischen Pflicht und Liebe hin- und hergerissen wird, ist genauso toll anzusehen wie seine sprachlichen Verwirrungen zwischen amerikanischem und britischem Englisch.
Last but not least: die „Kapelle“; Stefan Veselka und seine Crew bieten – unter Deck sitzend - Cole Porter vom Feinsten - „astreine“ Bläser, tönendes Schlagwerk und ein wunderbares Lobby-Klavier.
Ingesamt ist Anything Goes ein unterhaltsamer Abend mit bisweilen etwas zu schenkelklopfendem Humor. Ein ärgerliches Manko bleibt: die arg bemühten deutschen Songtexte. Deutsch sprechen, englisch singen - das wär’s gewesen!