Hochzeit bei den Royals
Prinzessin heiratet Adligen - solche Nachrichten beherrschen immer die Schlagzeilen der Zeitungen! Auch im Falle der Ginevra, Tochter des schottischen Königs, die sich mit Ariodante vermählen wird. Alle sind glücklich und locker drauf. Da darf gern auch ordentlich getanzt werden. Auch ein Rock’n’Roll – pardon: ein Barock’n’Roll. Denn wir sind mitten in Georg Friedrich Händels Oper Ariodante. Und wenn dort die Royals (ba)rockig werden, darf auch das Publikum im Rhythmus mitklatschen. Gut, kein unbedingt superorigineller Einfall, aber absolut stimmig in der Inszenierung, mit der Kobie van Rensburg in Münster einen Riesenerfolg feiern konnte. Und Einfälle hat der Regisseur jede Menge. Vor drei Jahren verlegte er (ebenfalls im Theater Münster) die Zauberflöte komplett in ein Star Wars-Ambiente und bediente sich des Mittels der Videoprojektion (siehe hier). Das tut er jetzt auch wieder in Ariodante – intelligent und in jedem Moment schlüssig.
Die Bühne ist eine große schwarze Fläche, gelegentlich sparsam mit Requisiten bestückt wie die haushohen Wände, die anfangs einen herrschaftlichen Saal bilden. Später beschreiben künstliche Bäume ein Naturidyll, noch später wird die Fläche zu einer Waffenkammer mit lauter Schwertern für den tödlich endenden Zweikampf zwischen Lurcanio und Polinesso. Und mit diesem Polinesso, der mit seiner Augenklappe und seinem ganzen Gehabe sehr an Don Juan erinnert, beginnt die Geschichte. Der ist nämlich gar nicht amused über die Heiratsannonce, will er sich Ginevra doch selbst unter den Nagel reißen, um den Königsthron zu ergattern. Aber wie, wo die Gute doch so gar nichts von ihm wissen will? Wie es immer so ist in der Oper (und im richtigen Leben), inszeniert Polinesso ein falsches, fieses Spiel, um den glücklichen Bräutigam Ariodante von der vermeintlichen Untreue seiner Zukünftigen zu überzeugen. Das endet mitunter tragisch – hier, bei Händel, nicht. Denn unter feierlichem Geschmetter von Hörnern und rauschendem Streicherklang findet zusammen, was zusammen gehört. Aber davon bekommt Polinesso schon nichts mehr mit, weil er halt Opfer von Lurcanios Waffe wurde.
Kobie van Rensburg nutzt die Rückwand der Bühne ebenso wie die Bühnenportale als Projektionsfläche für Raumsimulationen: eine Königshalle, weite Landschaft, gotische Fenster - und für das, was man Übertitel nennt, die hier aber an ganz unterschiedlichen Orten auftauchen wie Sprechblasen ohne Blasen. Das ist absolut virtuos gemacht! Durch die gesamte Inszenierung ziehen sich (echte wie virtuelle) Schirme, Golfschläger, Pistolen; niedlich, wenn das glückliche Paar wie Pan Tau auf einem Video durch die Lüfte weht, wenn sich rote Herzchen da hineinmischen. Die berührendsten großen Momente entwickelt und bebildert van Rensburg in Händels meisterhaften Arien, kann sich dabei auf die erstaunlich hohe Qualität des Sinfonieorchesters Münster verlassen. GMD Fabrizio Ventura hat sein Ensemble auf Hochglanz poliert und macht mit ihm alle Facetten emotionaler Regungen erlebbar. Überschäumender Jubel und abgrundtiefe Verzweiflung - zwischen diesen Extremen changiert das Klangbild des Orchesters, dem man eine solch kompetente Umsetzung einer Händel-Partitur von zehn, fünfzehn Jahren kaum zugetraut hätte. Aber da hat sich ganz allgemein und nicht nur beim Sinfonieorchester Münster ja inzwischen eine ganze Menge getan.
Für den Fiesling dieser Oper hat Münsters Intendant einen Gast verpflichtet: Nicholas Tamagna. Der aus New York stammende Counter geht auf in seiner Rolle des machtgeilen Schurken Polinesso, bewegt sich mit Grandezza auf der Bühne, singt brillant, auch wenn man hier nicht von einem neuen Stern am inzwischen überreich bestückten Counter-Himmel sprechen kann. Die fünf übrigen Rollen sind aus dem hauseigenen Ensemble gut besetzt, allesamt natürlich keine ausgewiesenen Spezialisten im Umgang mit den mitunter extremen Anforderungen barocker Gesangskultur. Lukas Schmid ist ein solider schottischer König, sehr beweglich, aber klanglich etwas schwach in seinen Koloraturen. Henrike Jacob überzeugt als des Königs Tochter Ginevra in ihren ruhigen, expressiven Momenten. Den Gatten in spe Ariodante gibt Lisa Wedekind. Optisch ein Bilderbuchbräutigam mit Vollbart und wallendem Haupthaar, kreiert sie besonders in ihren beiden großen Arien tiefste Verzweiflung und höchstes Glück. Vortrefflich singt auch Youn-Seong Shim als Ariodante-Bruder und Rächer Lurcanio. Ganz ausgezeichnet findet sich Eva Bauchmüller hinein in ihre Rolle als Dalinda, Ginevras Vertraute, mit der das ganze Händel-Drama anfängt: sie wird benutzt, um die Zweifel bei Ariodante zu säen. Bauchmüller mobilisiert ihre ausgezeichnete Gesangstechnik und imponiert mit der Kraft und Fülle ihrer runden, durch alle Register hindurch ebenmäßig Stimme.
Groß, ja überschwänglich war der Applaus des Premierenpublikums.