Wir schreiben das Jahr Neunzehnhundertachtundfünfzig
1958 – irgendwo in der Wüste von Nevada. Der stinkreiche Firmenboss Steve Dayton will sein privates Mondfahrtprogramm vorstellen. Was ist da besser geeignet als ein Werbefilm. Den ins Bild zu setzen, hat er einen abgehalfterten, ehemalig erfolgreichen Hollywood-Regisseur engagiert, der den Umstieg auf den Farbfilm einfach nicht geschafft hat. Und dann wird aus der geplanten Lobhudelei plötzlich ernst: ein entflohener Gefangener kapert das Raumschiff. Dabei will der gar nicht zum Mond, sondern nur heim zu Mutti. Wie dem auch sei – der Start in ferne Galaxien ist nicht mehr aufzuhalten. Mit an Bord sind der Firmenchef, seine scheinbar naive Verlobte Zeta, der Regisseur und der Raumschiffkonstrukteur, ein Altnazi aus Peenemünde.
Ab zum Mond also. Dort erwartet sie aber nicht der berühmte Mann im Mond, sondern ein hochentwickeltes Amazonenvolk. Das hat die ganze Mission geplant und gesteuert, um auf der Erde ein neues Domizil aufzuschlagen, denn durch ihre eigenen Umweltsünden geht auf dem Mond der Sauerstoff aus. Und unsere Helden sollen sterben, nachdem sie ihren Zweck erfüllt haben. Doch das ist kein Problem für „God’s own Country“. Dessen Präsident lässt den Mond kurzerhand mit zwei Atomraketen sprengen. Das dabei eine zivilisierte Kultur ausgelöscht wird, ist völlig egal. Und am Ende feiern alle ausgelassen die Möglichkeiten der Atomkraft.
Etwas verwirrend diese Inhaltsangabe? Es kommt noch besser: lebende Monstersteine spielen ebenso eine Rolle wie eine Riesenspinne, über deren Netz telepathische Kommunikation abläuft. Aber um den Inhalt geht es hier auch weniger.
Komponist Stéphane Fromageot und Texter Christoph Tiemann haben für das 15. (!) Projekt des TheaterJugendOrchesters in Münster mit dem Retrofuturistical Mondraketenmassaker ein Werk geschrieben, das nur so wimmelt von Anspielungen auf US–Science-Fiction-Filme, die uns heute alle oft primitiv-komisch vorkommen. Mondraketenmassaker nimmt aber herrlich, mitunter bissig auch das riesige Selbstbewusstsein der USA gerade in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts auf’s Korn. Eine Topp-Vorlage für die Macher des TJO also - und die stürzen sich allesamt mit Feuereifer und Spaß in die Arbeit. Die ganze Produktion atmet vor allem eins: einen spürbaren Teamgeist.
Regisseur Alban Renz ist zugleich Ideengeber für das Projekt, seine Kollegin Anna Verena Freybott schreibt auch Songtexte. Beide setzen die Geschichte mit großer Übersicht und vielen kleinen Ideen um, die immer wieder Lacher produzieren. Kathrine Altaparmakovs Bühne kommt mit einem silbernen Vorhang aus, der sowohl für eine große Abendshow wie auch für das Mondlicht stehen könnte. Und Bettina Zumdicks Kostüme passen perfekt, haben eine große Bandbreite vom schicken 50er–Jahre-Kostümchen, den primitiven Raumanzügen bis zur bunten Amazonenpracht, die aus einem amerikanischen Südsee-Filmschinken entsprungen sein könnte.
Ganz viel läuft über Bewegung beim Mondraketenmassaker – nicht nur in den getanzten, wunderbar ausgefeilten Choreografien Annette Taubmanns. Die Präzision, mit der sich hier alle einbringen, ist bewundernswert. Und ebenso gut wie gespielt wird gesungen. Das gilt für die Ensembles (Chor: Miriam Köpke) wie für die Solisten. Marvin Fehrenbacher wirft als Dr. Kuhna gekonnt mit Fantasiewissenschaftsbegriffen um sich, kann seine Herkunft nicht verleugnen und fällt immer wieder in eine Hitler-Imitation zurück. Max Wielenga ist der großkotzige Steve Dayton, der meint, mit Geld alles erreichen zu können und Sebastian Averdiek glänzt als total ängstlicher Regisseur von gestern ebenso wie Jan Niklas Niehaus als mit Fäkalsprache um sich werfender Buster Crabbe.
Da sind die Amazonen aus ganz anderem Holz geschnitzt. Sie haben Großtun nicht nötig. Carmen Finzel wandelt sich vom tumben Erdenweibchen zur kühl kombinierenden Frau und Judith Müller hat als Thalestris den Überblick über das Geschehen. Eine gesangliche „Sternstunde“ bieten Marie Luise Reuther und Tomke Niehaus als Atomraketen und das Deutsch-Amerikanisch von Maartje Boekestein als Präsident sitzt perfekt.
Stéphane Fromageot schreibt eingängige Filmmusik und mitreißende Songs, die das TheaterJugendOrchester unter Daniel Klein stilecht als großes Tanzorchester funkelnd und swingend zur Geltung bringt – ausgezeichnet.
Die begeisternde Premiere sollte Ansporn sein, das finanziell bedrohte TheaterJugendOrchester unbedingt zu erhalten.