Übrigens …

Thebans im Oper Bonn

Gelungene Adaption

Das Mittelstück ist ein echter Kracher. Da haben Julian Anderson und sein Librettist Frank McGuinness die Antigone des Sophokles auf 25 Minuten heruntergebrochen und verdichtet. Sie zeigen die furchterregende Studie eines durch Macht und Machtgier zum Popanz gewordenen, überforderten Spitzenpolitikers. Der überragende englische Charaktertenor Peter Hoare wertet den Kreon zur negativen Hauptfigur des gut zweistündigen Opernabends auf. Hier wirkt nichts 2500 Jahre alt! Zumal Anderson das Stück musikdramatisch genial erfasst. Einem Einheitsrhythmus – es werden ausschließlich Viertelnoten gesungen, um den von Kreon errichteten Polizeistaat musikalisch zu beschreiben – steht überbordende Klangfantasie gegenüber. Da muss der Chor auch schon mal „ssss“ zischen oder die Klarinetten metallen knirschen. Hier passt auch die Regiehandschrift von Pierre Audi hervorragend: Der Zug zum großen Tableau mit erlesener Optik, die stark stilisierte, sehr künstliche Gestik, das Vermeiden von schnellen Bewegungen, die statische, aber stets elegante Chorführung. Der Mann versteht sein Handwerk, aber er riskiert nichts.

Das macht dem Zuschauer in den anderen beiden Teilen den Zugang schwieriger. In König Ödipus etwa wird die Titelfigur, trotz des herrlich schimmernden, wunderbar geführten Baritons von William Dazeley nicht annähernd so plastisch wie Kreon in Antigone. Ödipus bleibt glatt, geht dem Zuschauer nicht nahe. Alles sieht zu fein, zu elegant, zu antiseptisch modern aus. Hier packen nur die geschlossenen Formen: eine wilde Konfrontation zwischen Ödipus und Kreon, das Lamento der Jokasta von Anjara I. Bartz, das Basssolo von Rolf Broman als Seher Tiresias in Frauenkleidern und der Schreckensbericht des Boten, den Jakob Huppmann mit flexiblem Countertenor hochmusikalisch gestaltet. Das große Drama ereignet sich aber hier noch nicht. Wohl auch, weil die Hässlichkeit fehlt. Die liefert Peter Hoare in „Antigone“. Und das letzte Stück, Ödipus auf Kolonnos ist chronologisch eigentlich in der Mitte angesiedelt. Hier ist so viel Brutalität in Noten, Gedanken und Taten zu spüren wie selten auf der Opernbühne. Sämtliche Männer betragen sich wie Tiere (Ödipus, Kreon, Polyneikes) oder rücksichtslose Götter (Theseus). Hierfür findet Audi keine Bildsprache, versucht eine weiche Form, eine Art Traumspiel zu etablieren, scheitert damit aber an den übertrieben edel-musealen Kostümen von Christoph Hetzer. Aber auch hier liefert das Libretto eine große Dichte und die Komposition ein Meer fein aufeinander abgestimmter Klangfarben. Und William Dazeley kann endlich punkten, reißt hier Ödipus‘ Seele weit auf. Und wie berührend alles endet! Mit der herzerweichenden, umwerfend gesungenen Klage Antigones (Yannick-Muriel Noah in ganz großer Form) um den entschwundenen Vater.

Das hybrid erscheinende Vorhaben ist geglückt. Julian Anderson hat es geschafft, drei antike Dramen von Sophokles zu einem Opernabend zu vereinen. Schon die Uraufführung an der English National Opera war ein Erfolg. Den konnte jetzt auch das koproduzierende Theater Bonn feiern. Hauptverantwortlicher dafür ist sicher der junge Kapellmeister Johannes Pell, der diese genuine Theaterpartitur, die getrieben zu sein scheint von der Lust am großen, epischen Erzählen, mit unglaublicher Sorgfalt, Delikatesse und Spielfreude aufbereitet hat. Ensemble, Orchester und Chor danken es mit außergewöhnlichen Leistungen, das Publikum mit tobendem Applaus.