Im weißen Rössl im Köln, Theater Tiefrot

Operette als Kammerspiel

Wenn man bedenkt, dass Ralph Benatzky sein Weißes Rössl für Berlins Großes Schauspielhaus schrieb, wo Erik Charell erfolgreichst Revuen inszenierte, mutet es zwangsläufig wie eine Hypertrophie an, wenn sich das klitzekleine Theater Tiefrot an dieses personenaufwändige Stück wagt. Kein Orchester, sondern nur ein einsamer Mann am Klavier, der auch schon mal das Akkordeon in die Hand nimmt. Ulrich M. Espenlaub bietet gut gemeintes Fingerhandwerk, trifft aber nicht immer die richtigen Töne.

Geht es um Operette, schlägt man natürlich gerne bei Volker Klotz nach („Operette – Porträt und Handbuch einer unerhörten Kunst“). Der Untertitel des Buches lässt die Wertschätzung des Autors für dieses Genre unschwer erkennen. Aber er setzte andere Repertoire-Signale, als wie sie der aktuelle Spielplan weitgehend spiegelt. Mit dem Rössl hat sich Benatzky seiner Meinung nach „endgültig vom Muster der Broadway-Show verabschiedet, um fortan die bescheideneren, aber auch subtileren und witzigeren Formen der französischen Opérette-légère weiterzuentwickeln.“ Daraus kann auch eine definitive Opernbühne Vorteil ziehen wie 1999 die Düsseldorfer Rheinoper mit Meine Schwester und ich. In Bonn fand ein Jahr zuvor Andrea Schwalbach die angemessene inszenatorische Ironie für das Weiße Rössl.

In Tiefrot nutzt Hausherr Volker Lippmann die charmante Beengtheit seiner Bühne durchaus günstig. Wie fast immer wird auch diesmal vor Ort ein durch den Zuschauerraum gelegter Gehsteg als Spielfläche benutzt, Off-Auftritte sind ebenfalls obligatorisch. Die Ausstattung von Andreas Bliemel wird beherrscht von Hintergrundprospekten. Der zentrale zeigt die Front des Rössl-Hotels, geteilt gibt er den Blick auf eine idyllische Bergwelt frei. Man ist ja im schönen Salzkammergut, wo man „so gut lustig sein“ kann.

Idyllik – das ist bei diesem Stück aber ein besonderes Moment des Attraktiven, des gefährlich Attraktiven freilich. Mit der Genrebezeichnung „Singspiel“ wird von vorneherein eine nostalgische „Es war einmal“-Stimmung suggeriert, und Kaiser Franz Joseph hat als später Ehrengast am Wolfgangsee altersweise Sätze vom Stapel zu lassen, was Lippmann etwas distanzlos im Finale zementiert.

Aber seine Inszenierung findet immer wieder auch zu schönen Ironismen, die teilweise schon von der leicht modernisierten Textfassung herrühren. Dem Premierenpublikum war freilich anzumerken, dass es sich auf Teufel komm raus zu amüsieren gewillt war. Darsteller des Hauses unter den Zuschauern halfen mit, den Beifall (nach jeder Gesangsnummer) anzuheizen.

Die Aufführung schwimmt auf einer hohen Welle der humoristischen Glückseligkeit, und findet in dem kuriosen Liebespaar Klärchen/Sigismund (Sandra Kouba/Gerald Liebenow) besondere Ausprägung. Wolfram Zimmermann (Prof. Hinzelmann) entwickelt ökologisch unterfütterte Altherren-Weisheit, Patrick Michel (Piccolo) ist mit seinem lockeren Mundwerk ein liebenswerter Junge, Volker Lippmann gibt mit knatternder Rustikalität den in seinem urigen Berlinertum nicht umzubringenden Textilfabrikanten Giesecke.

Mit dem Gesang steht es im „Tiefrot“ nicht gerade zum Besten. Bastian Korff als Dr. Siedler besitzt die vielleicht ausgeprägteste Stimme, welche an einer Stelle sogar tenoral parodierende Grandezza hergibt. Bei Sebastian Schlemmer (Leopold) fängt es – unumwunden gesagt – ganz schlimm an, später überwiegt darstellerischer Charme. Die Josepha Vogelhuber von Julia Karl ist proper, die Ottilie von Birgit Abendroth präsent. Der Kaiser ist mit Peter Penjewski liebenswürdig besetzt...