Übrigens …

Der feurige Engel im Duesseldorf Oper

Blut und Wahn

Klopfgeräusche, die zu brachialen Schlägen werden. Irres Lachen und Heulen hinter dicken Mauern. Blutige Szenen aus der Pathologie, ein Hexensabbat im Kloster, zuletzt knallt es derart schrecklich, als würde eine mindestens baumhohe Eisentür ins Schloss fallen. Licht aus. Und ganz allmählich löst sich der Eisenring aus Bild und Musik, der uns gute zwei Stunden lang in einer Art Erstaunensstarre gefangen hielt.

Solcherart elementare Theatererfahrung, um die es sich hier handelt, ist jenseits des Alltäglichen. Vielmehr muss die Rede sein von in mehrfacher Hinsicht Außerordentlichem: von Sergej Prokofjews stärkster musikdramatischer Arbeit namens Der feurige Engel und Immo Karamans wahnwitziger, äußerst durchdachter, bildmächtiger Inszenierung an der Rheinoper. Wir sehen, im Düsseldorfer Haus, nichts weniger als einen Schocker, der sich bisweilen die Maske der Harmlosigkeit aufsetzt, um dann blitzartig das wahre, nämlich wahnverzerrte, kaltblütige oder sterbenselende Gesicht zu zeigen.

Den rauschenden Erfolg dieser Produktion hätte der Komponist wohl selbst gern genossen. Denn für ihn war der Engel ein wahres Schmerzenskind. Lange hat er daran gefeilt, vieles umgearbeitet, und doch durfte er die Uraufführung nicht erleben. Sie fand erst zwei Jahre nach seinem Tod, 1955 in Venedig statt. Seither gab und gibt es, auch in unseren Breiten, lediglich punktuelle Aufführungen. Karamans Düsseldorfer Deutung aber ist der kaum zu ignorierende Appell, dieser Oper eine Chance zu geben.

Freilich: Die Geschichte von Renata, der einst eben jener reine, strahlende feurige Engel erschien, der als Graf Heinrich kurz mit ihr zusammenlebte und dann verschwand, ihre obsessive Suche nach ihm mit Hilfe des Reisenden Ruprecht, dessen aussichtslose Liebe zu Renata, die schließlich dem Wahn und der Inquisition verfällt – diese Story, vom symbolistischen Autor Walerie Brjussow im mittelalterlichen Köln angesiedelt, mag uns heute wenig angehen. Doch in Verbindung mit Prokofjews Musik, die in ihrer Kantabilität noch Puccinis Süffigkeit durchschimmern lässt, die aber in beständigen Wirbeln und Schleifen in sich selbst kreist, um bei zunehmender Motorik und (Blechbläser)-Schärfe in auswegloser Hysterie zu explodieren, gewinnt das Drama gewaltiges Format.

Und Karamans Inszenierung setzt genau dort an: Die Idee, das Geschehen von vornherein in einer Irrenanstalt ablaufen zu lassen, deren Existenz bisweilen kaschiert ist, dürfte sich aus dem Geiste der Komposition ableiten. Schon das erste Bild, die Zimmerflucht eines Gasthofes, in dem Ruprecht übernachten will, mutet in seiner Enge und Verkantung äußerst surrealistisch an. Alsbald schon, mit Renatas Engel-Erzählung, die sich rasch ins Wahnhafte steigert, öffnet sich der Raum, Schwestern und Pfleger fixieren die Frau, verabreichen ihr Elektroschocks. So findet sich Ruprecht in der Hölle jenseits des „Normalen“ wieder. Manchmal scheint er das Erlebte von sich abschütteln zu wollen, als sei alles nur ein Traum. Doch am Ende sitzt er selbst auf einem Stühlchen, mit wirrem Haar, bleich und mit stierem Blick, wie ein Kind sabbernd, beäugt von allerlei skurrilen Gestalten, im großen Saal des Irrsinns.

Zuvor, auf der Suche nach dem ominösen Heinrich, zugleich auf der Spur von Renatas sonderbarem Wahn, gerät er in die Welt des berühmten Dr. Agrippa, die sich als bluttriefende Pathologie entpuppt. Der Disput zwischen beiden über die Macht des Okkultismus und der Wissenschaft ist einzige ohrenbetäubende Raserei. Sie weicht später, als der Graf tatsächlich in seinem Hause aufgespürt wird, einem nervösen Pulsieren, als klingendes Fundament für eine Tanzgesellschaft. Eine Szene dies von schauriger Falschheit, als glitten Tote übers Parkett, wie in einer Sequenz aus Stanley Kubricks Horrorklassiker „Shining“.

Ruprechts Odyssee indes ist noch nicht zuende. Sie führt ihn in eine Commedia-dell’Arte-Episode mit Faust und Mephisto, die sich zum Menschenfresser-Horror weitet und letzthin in jenes Kloster, in dem Renatas Visionen eine wahnwitzige Hysterie unter der Nonnen auslöst.

Karaman selbst und Aida Leonor Guardia haben die entsprechend spektakulären Räume gebaut, teils von gotischen Kirchenelementen umrahmt, als Anspielung aufs Mittelalter. Kostümbildner Fabian Posca indes zeichnet Ruprecht als Mann des Bürgertums und steckt das Personal der Tanzszene in Glitter und Glamour des frühen 20. Jahrhunderts. Ein Stilmix, der letztlich auch nur als Maskerade dient.

Die Sänger wiederum müssen einen einzigartigen Parforceritt der Entäußerung bewältigen. Boris Statsenko (Ruprecht) und Svetlana Sozdateleva (Renata) geben alles, sie mit der Sogkraft einer Sirene, er mit gewaltiger Baritonwucht, beide stilsicher, sich die Seele aus dem Leib singend und spielend. Chor und Ensemble agieren ebenfalls lustvoll und punktgenau. Und die Düsseldorfer Symphoniker unter Wen-Pin Chien, anfangs noch leicht unscharf in der Artikulation, steigern sich mehr und mehr in den Prokofjew-Rausch. Sodass eben, Szene und Musik zusammengenommen, uns bisweilen die Luft abgeschnürt wird. Bis sich alles in befreiendem Applausgetöse entlädt.