Magie des Ortes
Das Kolumba-Museum ist ein toller Ort, ein neuer, sehr moderner Bau auf einem Ruinenfeld, das in spätantike Zeit zurückreicht. Auch die Ausstellung in diesem Kunstmuseum des Erzbistums Köln lebt vom immer wieder bewusst erzeugten Gegensatz von alt und neu. Hier Oper zu spielen ist nicht nur eine tolle, sondern auch eine publikumsträchtige Idee.
Die Kölner Oper hat zwei kurze Stücke ausgesucht, die musikgeschichtlich an der Schwelle zur Moderne stehen, auch wenn sie noch viel Romantisches in sich tragen. Leos Janaceks Tagebuch eines Verschollenen ist ursprünglich ein Liederzyklus. Ein junger Mann träumt sich weg aus dem ewig gleichen Alltag und dem vorgezeichneten Lebensweg. Er projiziert all seine Sehnsüchte auf die Zigeunerin Seffka, die in einem Lied auch selbst singt, und geht am Ende mit ihr weg. Dieses Stück verlegt die junge Regisseurin Béatrice Lachaussée direkt in das Ruinenfeld, auf die Reste einer karolingischen Basilika aus dem 9. Jahrhundert. John Heuzenroeder hat einen vielfarbigen Tenor, den er wortdeutlich, hochmusikalisch und überaus geschmackvoll einsetzt. Er klettert über die Steine, ordnet Steine an, trägt sie hin und her, formt am Ende ein „Adieu“aus ihnen. Fluchtpunkt seiner Sehnsüchte ist ein mit dünnem Vorhangstoff bespanntes Gestell im Hintergrund. Seffka erscheint als Schattenriss, kommt kurz hervor, verschwindet wieder. Er geht zu ihr, die Schatten lieben sich. Am Ende wiegt der weibliche Schatten ein kleines Kind. Der junge Mann entscheidet sich. Der Vorhang fällt herab. Die einfache Anordnung erfüllt Text und Musik, weil die hallige Akustik und vor allem der hereindringende Straßenlärm jenen Alltag versinnlichen, den der Protagonist nicht mehr ertragen mag.
Pause im Foyer. Geigentöne. Ein Violinist zieht das Publikum hinter sich her in den zweiten Stock, in den Raum 13, der von Serpentinata dominiert wird, einer Ton-Raum-Komposition des Künstlers Bernhard Leitner in der optischen Form verschlungener Schläuche. Das Publikum – bei Janacek stand es auf einem Steg über das Ruinenfeld – darf jetzt sitzen. An allen Seiten des Raumes. Eine unheimliche Stimme erklingt, verzerrt, verschoben. Der Tod kündigt Savitri an, dass er ihren Mann holen wird. Adriana Bastidas-Gamboa – sie war auch Seffka – liegt auf einem Podest im Raum. Ihr Mann kommt, stirbt. Es beginnt ein geistiges Ringen mit dem Tod um sein Leben, in dem Savitri Siegerin bleibt. Selig geht sie mit ihrem Mann weg. Dieses Stück geht Beatricé Lachaussèe (zu) behutsam an. Sie deutet nicht, erzählt kaum, delegiert das Drama an den Raum und den überakustisch veränderten Klang. So fehlt der Konflikt. Es bleibt ein außergewöhnliches Raumklangerlebnis und – die Musik. Sävitri ist überaus hörenswert. Einige Jahre vor Strauss‘ Frau ohne Schatten entwickelt Holst ähnliche Klangvorstellungen. Nur ist sein Satz trockener, pointierter, weniger schwelgerisch. Auch deswegen dauert Savitri nur eine gute halbe Stunde. Die zwölf Musiker unter Rainer Mühlbach verhelfen dieser hierzulande unbekannten Komposition kundig zu ihrem Qualitätsrecht. Und Köln hat Stimmen dafür. Adriana Bastidas-Gamboa gibt der Titelrolle mit dem ihr eigenen leicht gutturalen, faszinierend schimmernden Kupferton eine ganz eigene Signatur mit. Luke Stoker ist ein sehr klarer Bass-Tod, gestaltet wunderbar sensibel, aber auch zupackend, wo es gefordert ist. Ein versprechen für die Zukunft. Denn Stoker gehört noch zum Kölner Opernstudio. Wie auch Taejun Sun, der dem Tod verfallene Gatte. Was für eine schöne Tenorstimme! Welch ein Farbreichtum! Was für eine reife musikalische Gestaltung! Welch kostbares Timbre!