Theater(t)räume
Die neue Aachener Tosca wird von Kazem Abdullah inszeniert. Das steht zwar so nicht im Programmheft, aber so kommt es beim Zuschauer an, beim Zuhörer, um exakt zu sein. Es gab seit dem Amtsantritt des Dirigenten bereits mehrfach Anlass zu besonderem Lob. Bei Puccini lässt Abdullah das veristische Drama von Anfang an glutvoll Klang werden. Die Streicher rasen, die Trompeten schmettern, das Becken zischt Was an Reißerischem, Kolportagehaften auf der Bühne vonstattengehen soll – man hört es im bestens disponierten Orchester. Großartig! Entsprechend enthusiastisch akklamierte das Premierenpublikum.
Der offizielle Regisseur hingegen wurde in einer für Aachen seltenen Einmütigkeit abgelehnt. Ludger Engels war bis 2013 Chefregisseur am hiesigen Theater und hat verschiedentlich Interessantes und Kluges vorgestellt (in besonderer Erinnerung haftet sein Mozart-Titus). Spezielle Interessen von Engels gelten interdisziplinären Projekten. Einem intellektuellen Szeniker können Fantasie und Ideenreichtum aber schon mal im Wege stehen. Kaum vorstellbar, dass Engels die Tosca quasi vom Blatte spielen lassen könnte. Das wird, zumal bei einem so bekannten Werk aber wohl auch nicht gewünscht. Was sind nun aber die „Beigaben“ in Aachen?
Gleich zu Beginn (und mehrfach später) sieht man ein kleines Mädchen, fraglos die adoleszente Floria: kleines privates Streiflicht. Sie wird dann Künstlerin durch und durch, was Bühnenbildnerin Christin Vahl dadurch unterstreicht, dass sie alle Spielorte als Theaterkulisse ausgibt. Auf diese Weise bekommt man die schmucke Kirchen Sant’ Andrea della Valle sogar ziemlich realistisch (freilich in geschrumpften Dimensionen) zu sehen. Religiöse Rituale scheinen dem Regisseur wichtig zu sein, da gönnt er sich sogar ausgesprochen dekorative Wirkungen. In diesem Zusammenhang gibt es eine papstähnliche Figur, die schon zum Finale des 1. Aktes einen Großauftritt hat. Im Schlussbild wohnt sie der Exekution von Cavaradossi bei. Was bringt das außer einem wie auch immer gemeinten Seitenhieb an Erkenntniswert für das eigentliche Drama?
Das Künstlertum Toscas, die ihr „Vissi d’arte“ nota bena als Rampenauftritt zelebriert, vermischt sich zuletzt mit dem des Malers Cavaradossi. Das Liebespaar flieht in eine von der brutalen Außenwelt gewissermaßen abgeschottete Glasvitrine, beschmiert deren Wände mit Farbe. Toscas „Sprung“ wird zu einem Lichtblitz, nach welchem vom Bühnenhimmel irgendeine lebendige Theaterfigur herabgelassen wird. Es ließen sich noch manch andere „Imaginationen“ aufzählen.
Wirklich belangvoll fällt eigentlich nun das Scarpia-Porträt aus, auch wegen des Sängerdarstellers Christian Tschelebiews. Er wird als Bass geführt, hat vor kurzem als Ochs debütiert. Allerdings lässt seine baritonal gefärbte Stimme an eine angemessene Bewältigung dieser Partie nicht so recht glauben. Andererseits kämpft er als Scarpia mitunter um exponierte Höhen. Dennoch formt er eine runde Figur fernab des Typs Brunnenvergifter. Bei aller Genussvitalität wirkt Tschelebiews Scarpia sogar ein wenig verletzlich, die Zurückweisung Toscas geilt ihn weniger auf als behauptet. Dass er beim „Credo“ zusammenbricht, könnte man – so unklar dieser Moment letztlich auch bleibt – als ersten Fingerzeig deuten.
Den Cavaradossi sang in der Premiere, einen erkrankten Ensemblekollegen ersetzend, Adriano Graziano mit fulminanten (allerdings nicht immer ganz intonationssicheren) Spitzentönen, aber auch genügend Geschmeidigkeit; als Darsteller zeigte er sich engagiert. Irina Popova, die Hausprimadonna, ist prinzipiell eine lyrische Sopranistin. Wirklich Blutvolles im Ausdruck steht von ihr nur bedingt zu erwarten, aber die frauliche Akzentuierung ihrer bestens beherrschten Partie hat viel für sich. Die immer wieder auftauchende Kindfigur passt dazu.
Pawel Lawreszuk (solide als Mesner und Schließer) ist bei den Mitwirkenden nachzutragen, wie auch der sympathische belgische Nachwuchsbariton Fabio Lesuisse (Sciarrone). Jorge Escobar aus dem Opernchor (Angelotti) empfiehlt sich mit seinem füllig-kantigen Bass weiterhin für Soloaufgaben.