Die Zauberflöte im Theater Hagen

Chaos im Museum

Was steckt alles drin in der Oper aller Opern, in Wolfgang Amadeus Mozarts nach wie vor populärer Zauberflöte? Märchen und Mythen, Klamauk und Bösewicht-Kult, Ritual und Respekt, Aufklärung und Romantik, Lovestory und Lästerei, Vogelfänger-Kult und Vieldeutungsglanz. Immerhin, doch am Theater Hagen öffnet Regisseurin Annette Wolf weitere Facetten dieser Wundertüte mit dem Libretto von Emanuel Schikaneder. Sie verlegt die mehrschichtige Freimaurer-Philosophie über junge Menschen, die einen gemeinsamen Weg in die Zukunft suchen, in ein Museum. Alte Säcke, pardon: gereifte Herrschaften, bestimmen hier, wo es lang geht in der Kunst, im Alltag, in der Hinwendung an das Irrationale, in der Gesellschaft. Die Regie treibt es munter und respektlos, hin und wieder kommt auch mal Hintersinn und Skepsis gegen den „ewigen“ Konservatismus auf, aber insgesamt bleibt sie in der Komik-Spur. Nur keinen Ernst, keine langweilige Seriosität aufkommen lassen. In Hagen will man ein junges Publikum erreichen und ins Theater holen. Da darf man sich beispielsweise bei der Zauberflöte mal so richtig austoben. Das Motto lautet deshalb: In diesem Opern-Museum herrscht ein schönes, turbulentes Chaos!

Wie ein Film mit ständigen Überblendungen und lebhaften Schnitten läuft die Geschichte um Prinz Tamino, der erst im Laufe der Story zum echten Kerl reift, und Pamina, die sich einer drallen „Nana“ anvertraut, ab. Gemälde werden zum Theaterleben erweckt. Annette Wolf und Bühnenbildner Jan Bammes zitieren reihenweise berühmte Vor-Bilder für ihr buntes, karnevalistisches Spiel über die Charakterbildung (Tamino/Pamina), vor dem nichts heilig ist. Goethe-Freund Jakob Ph. Hackert taucht auf, Henri Rousseau. Niki de Saint Phalle, Grafitti (dank Papageno) wechseln sich als Hintergrund oder Stichwort ab – man ist schließlich im Museum. Bammes greift ins Volle bei diesem günstigen Themenort.

Manches wirkt in der Figurenkontrolle auch nur albern, anderes zu knallig oder schlicht harmlos vergagt – aber insgesamt kann man diesem Prozess des Erwachsenwerdens folgen. Wolf schafft immer noch gerade die Balance zwischen Märchenmotiven und Mozart-Macht. Das wiederum darf auch dem gesamten Ensemble angerechnet werden – und besonders dem Dirigenten Florian Ludwig. Denn Hagens GMD kennt sich bestens aus in der Partitur. Hagens Orchester lässt Mozarts Noten funkeln und leuchten, dass man gern hinhört. Er trifft die Mitte aus Ulk-Banalität und Zeigefinger-Erkenntnis. Er bleibt stets bei Mozart selbst. Bei dessen über alle Epochen siegenden Melodie-Qualität

Bei den Damen und Herren auf der Museumsbühne fesseln nicht alle. Kejia Xiong braucht zwei Akte, um seinen nuancierten Tenor kräftiger tönen zu lassen. Cristina Piccardi als Königin der Nacht spitzt den ariosen Glamour delikat zu, dem „Museumsdirektor“ Sarastro von Ilkka Vihavainen geht im wahrsten Sinne die Puste (bei der schwarzen Tiefe) aus. Dorothea Brandt singt eine tadellose Pamina, Kenneth Mattice beeindruckt baritonal als rebellischer Papageno, Rainer Zaun steht seinen Mann als Priester und Sprecher, Maria Klier wandelt sich als Pamina von dem naiven Mädchen zur kämpferischen Frau. Die „drei Damen“ und die „drei Knaben“ tummeln sich in hübscher Verkleidung und mit gezieltem Stimmeneinsatz. Der Chor (Wolfgang Müller-Salow) hätte etwas kerniger und klangschöner auftreten können.

Ob die Jugend das schrille Gegen- und Miteinander der Typen und das kulturelle Kaleidoskop durchschaut? Da ist wohl einige Skepsis angesagt. Das Publikum bei der Premiere feierte jedenfalls die Verantwortlichen bei dieser musealen, zuweilen aber richtig frechen Mozart-„Ausstellung“, das Orchester mit Ludwig und die auf Tempo gedrillten Akteure. Hagens Musiktheater kann mit dieser Produktion wieder mal punkten – vor allem jedoch beim älteren, treuen und dankbaren Stammpublikum.