Les Contes d’Hoffmann als große Bühnenshow
Der Plan ist aufgegangen: Nachdem die Muse den Dichter Hoffmann durch alle Qualen des Liebeslebens gejagt hat, besinnt er sich endlich auf seine wahre Berufung: das Schreiben.
Ulrich Peters nutzt diesen Wandel für ein groß angelegtes Schlussbild: das gesamte Personal schaut dem Dichter, der an einem kargen Holztisch sitzt und eine Feder schwingt, bei seiner Arbeit zu. Da steht der Chor in silbern-glänzenden Gewändern, die Muse im schicken roten Abendkleid und sonst gibt es kostümmäßig einigen Plüsch aus der Entstehungszeit.
Und dieses Bild ist charakteristisch für Peters’ Sicht auf Offenbachs Les Contes d’Hoffmann. Er inszeniert mit ungeheuerem Aufwand eine große Bühnenshow. Auf Bernd Frankes Bühne hebt und senkt sich das Glasdach von Luthers Weinkeller, erinnern Projektionen, die an Eindeutigkeit nichts zu wünschen lassen, an zentrale Aussagen der jeweiligen Szene. Und Tische beherrschen die Bühne: ein großer für das Trinkgelage samt Pfeifenkollegium im ersten Akt, ein kleiner, auf dem die Puppe Olympia tanzt und einer, auf dem sich Giulietta zur „Barcarole“ räkelt.
Götz Lanzelot Fischer erschafft Kostüme, die echte Eye-Catcher sind. Die Chor-Herren schauen als Burschenschaftler ganz in schwarzen Lack gehüllt sehr verwegen aus. Fischer lässt es überhaupt gern glänzen. Das kommt besonders gut bei Olympia – ein perfekt metallisch strahlender Automat.
Viel Futter für die Augen also, für’s Hirn leider nur sehr wenig. Denn Peters belässt es bei einer puren Nacherzählung der Handlung. Da wird in keiner Weise hineingehört in die Charaktere. Warum leidet Hoffmann an sich und seiner Kunst? Offenbach hat in bewundernswerter Weise eine Figur erschaffen, die eine Entwicklung durchlebt, an sich zweifelt und sich (vielleicht) wieder findet. Keine Spur davon bei Ulrich Peters. Stattdessen aneinandergereihte Episoden aus Hoffmanns Liebesleben. Auch alle anderen Figuren werden, was die Charakterauslotung betrifft, eher stiefmütterlich behandelt.
Inna Batyuks Chöre haben nicht ihren idealen Abend erwischt. Zu viele Wackler trüben das Zusammenspiel von Chor und Orchester, auch den Chorklang an sich. Ideal ist die Besetzung der kleinen Rollen: Plamen Hidjov als Luther und Crespel verfügt über ein perfektes französisches Idiom, Suzanne McLeod als Mutter Antonias legt in ihre Stimme genau das richtige Maß an Wärme und Brutalität und Boris Leisenheimer in den Dienerrollen überzeugt mit angemessenen gellenden Tönen und großem darstellerischen Potenzial.
Antje Bitterlichs Olympia besticht durch präzise Koloraturen, wenn manche Töne auch knapp an der lupenreinen Intonation vorbeirauschen. Netta Or fehlt für die Antonia manchmal die Wärme in der Stimme, wenn sie auch wie Sara Rossi Daldross als Giulietta die Töne perfekt trifft. Und Gregor Dalal ist eine gute,stimmgewaltige Besetzung für die vier Unholde mit ausgeprägter Bühnenpräsenz.
Lisa Wedekinds Muse ist – wie so oft bei Wedekind – ganz sauber erarbeitet. Das gilt auch für Adrian Xhema als Hoffmann, der über die nötige Kraft und das Durchsetzungsvermögen für die Rolle verfügt.
Das Sinfonieorchester Münster unter Stefan Veselka spielt die Partitur schwungvoll und mit Verve. Ein wenig mehr Pathos hier und etwas fülliger Glanz da hätten allerdings gut getan.
In toto ist zu resümieren, dass das Theater Münster sowohl inszenatorisch als auch musikalisch mit einer „gelackten“ Produktion ohne inhaltlichen Tiefgang in die Saison startet.