Elektronisch verstärkt und um einen Agitationsmonolog ergänzt
Im Gegensatz zu David Pounteys Inszenierung von Bernd Alois Zimmermanns Die Soldaten, welche die gesamte Länge und Breite der Jahrhunderthalle bespielt hatte, benötigt die Rheingold-Inszenierung des Leiters der Ruhrtriennale Johan Simons nur einen vergleichsweise kleinen Raum. Die vier Schauplätze der Handlung sind im Bühnenbild von Bettina Pommer horizontal übereinander gelagert: zu ebener Erde drei Wasserbecken mit einer in die Flut gestürzten, zerborstenen Prunkdecke und Kronleuchter, darüber – unter dem Dirigentenpult – eine Klappe für Nibelheim, und in lichten Höhen des Gerüstbaus der Vorplatz zu einer weißen Hausfront von Walhall.
Zentral gelagert spielt das Orchester MusicAeterna, daneben zusätzlich 50 Besucher, die – wie in Sebastian Baumgartens Bayreuther Tannhäuser-Inszenierung – die Bühnenoptik verbreitern, und die sich hier, als Statist*innen, in einer Szene auch einmal von ihren Plätzen erheben.
Wotan und Alberich verkleiden sich als Ruhrkumpel, wenn sie Alberich in Nibelheim aufsuchen. Aber gerade dieses dritte Bild der Handlung bleibt seltsam unterbelichtet, da auf die schuftenden Nibelungen verzichtet wurde und die Machtwillkür von Alberich auf die Unterdrückung seines Bruders Mime (Elmar Gilbertsson) reduziert ist. Der Tarnhelm ist ein (Berg-)Bauarbeiter-Schutzhelm, das Gold aus den Schachten aber sind ein paar unbearbeitete Steinbrocken. Die Götter verhüllen denn auch, als sie die Göttin der Jugend mit Gold aufwiegen und vor den Augen der Riesen verdecken wollen, nur partiell mit einem Mini-Goldkleidchen.
Zwingender geraten dem spielfreudigen Ensemble der en detail innovativen Regie von Johan Simons andere Szenen. Erda (stimmstark Jane Henschel) ist als eine durchs Wasser tappende Alte bereits im Vorspiel zugegen; sie findet dort einen goldenen Stein, der aus der im Zyklus von Werden und Vergehen beim Zusammenbruch der vorangegangenen Welt übrig geblieben war.
Von den Rheintöchtern sind drei tote Gummi-Sexpuppen in den Fluten übrig geblieben, die von Alberich ausgiebig begattet werden, während die zuvor an Notenpulten singenden drei Schwestern dann zu dritt auf ihm sitzen. Nachdem Alberich einen Felsbrocken mit sich genommen hat, sammeln sie in Floßhildes Rock, den diese wie Sterntaler hochhält, kleine Steine, verlieren dann aber die Lust an dieser Tätigkeit.
Die Götterriege ist aufgewertet durch einen zusätzlichen Darsteller, dessen Rollennamen Sintolt der Hegeling der Auflistung der toten Kämpfer in der Walküre entnommen ist. Doch im Gegensatz zu dort, ist der Feind von Wittig hier ein Diener mit Kellner-Funktion; er serviert Drinks und Apfelscheiben für die Herrschenden, schleppt die alternden, müden Götter die Treppe zum Burgportal und entsorgt die faul gewordenen, goldenen Äpfel Freias vor der ersten Reihe des Publikums.
Die Solisten sind über Mikroports verstärkt, was einher geht mit den sich linear überlagernden elektronischen Ergänzungen der Partitur durch Mika Vainio. Bevor der junge, impulsive Dirigent Teodor Currentzis dem ebenfalls jung besetzten, großenteils trefflich disponierten russischen Orchester MusicAeterna den ersten Einsatz gibt, brummt – schon lange vor Einlass – in den Räumen der Jahrhunderthalle das tiefe Es. Und am Ende bleibt der Klang aus dem Einzug der Götter nach Walhall glockenartig elektronisch im Raum hängen, perpetierend bis in die Premierenfeier des „falsch und feig“ apostrophierten Publikums. Dazwischen gibt es einige elektronisch donnernde Einschübe, etwa nach Alberichs Fluch der Liebe oder wenn die – laut Loge „talpenden Tölpel“ – Fasolt (Frank van Hove) und Fafner (Peter Lobert) Freia keineswegs „auf der Erde Rücken“, sondern in noch lichtere Höhen als jene der Götter entführen.
Die hauptsächliche Ergänzung des auf knapp drei Stunden verlängerten, pausenlosen Abends erfolgt nach dem ersten Erklingen der 16 Ambosse. Auch Fafner schlägt hier auf einen zentralen Amboss im Rücken des Dirigenten. Der verlässt, wie auch zahlreiche seiner Streicher, mit Hammern bewaffnet, den Orchesterraum um die Publikumstribüne zu umkreisen. Der Wagners Partitur ergänzende Komponist Vainio schafft hierfür eine weitere Pluralisierung der Amboss-Schläge, wozu Sintolt, der Schauspieler Stefan Hunstein, als Agitator erkenntnistheoretische und umstürzlerische Sätze aus Wagners Handlung ableitet und dabei partiell auch aus Wagners Aufsatz Die Revolution zitierend, in ein Megaphon brüllt. Dann aber schlüpft dieser Revolutionär wieder in seine dienende Funktion, wäscht Wotan sauber, hilft dem in halblanger Unterhose singenden Göttervater in einen Smoking und Loge in einen Frack. Der finnische Bassbariton Mika Kares gestaltet Wotan bei seinem Rollendebüt mit stimmlichen Schattierungen durchaus zwingend. Statt seines Vertragsspeers hantiert er mit einem edlen Designerstift, dessen Drogenspitze auch Alberich zu betäuben vermag und lässt sich von Sintolt Handschuhe reichen, bevor er Alberich den Ring raubt. Doch bei Erdas Warnung fällt Wotan kraftlos nieder und hält sich bei Donners Hammer-Ruf (nach dem Einsatz so vieler zusätzlicher Hammer diesmal ohne Hammer!) die Ohren zu.
Im Kostüm von Teresa Vergho ist Freia (Agneta Eichenholz) ein Pin-up-Girl in schwarzer Latex-Reizwäsche und mit Halsbandleine, Fricka (Maria Ricarda Wessling) eine unter Wotans fernhypnotischen Berührungen sich genussvoll krümmende Modeschnecke. Als Komiker-Duo in braunen Anzügen agieren Donner (Andrew Foster-Willimas) und Froh. Bis zum Ende der Handlung liegen Leigh Melrose und Elmar Gilbertsson als Nibelungen-Brüderpaar, mit gesanglich überzeugenden Leistungen, reglos im Wasser. Die Gesänge von Froh (Rolf Romei) musiziert der Dirigent ungewöhnlich breit aus. Sehr homogen ist das Terzett der Rheintöchter von Anna Patalong, Dorottya Láng und Jurgita Adamonté. Ihre Anklage, „Falsch und feig ist, was dort oben sich freut“, bezieht der Regisseur auf das Publikum, das auf der Tribüne angestrahlt wird, während sich die Götter, nach vergeblichen Versuchen, die spionbestückten Türen nach Walhall zu öffnen, noch nicht wieder die lichten Höhen der Jahrhunderthalle erklommen haben. Loge, den Peter Bronder als Charakterrolle gestaltet, schwenkt ein Streichholz, und das Orchester intoniert das Nachspiel bombastisch im Stehen.
Mit Begeisterung, ohne Widerspruch, reagiert das Bochumer Publikum auf diese Neuinszenierung und zugleich Neufassung des Rheingold als Installation. Es dankte allen Beteiligten, insbesondere dem Klangkörper MusicAeterna aus Perm und dem Dirigenten Currentzis, für die Solisten differenziert, mit heftigem Applaus und Bravorufen.