Traum oder Realität?
Ein überdimensioniertes Bettlaken, das sich als frappierend flexibel-vielseitiges Bühnenbild erweist; ein Ensemble, das auf ganz hohem Niveau singt und spielt und ein Orchester, das alle Feinheiten der Partitur wunderbar erfahrbar macht. Das sind die Zutaten für einen Opernabend, der einfach rundherum glücklich macht.
Hausherr Michael Schulz, seinem Regieteam und Gastdirigentin Julia Jones gelingt im Musiktheater im Revier mit Benjamin Brittens A Midsummer Night’s Dream dieses Kunststück. Mit leichter Hand erzählen sie Shakespeares Komödie, an die sich Benjamin Britten und Peter Pears bei ihrer Opernadaption eng angelehnt haben. Ein großer Wurf ist das Tuch, mit dem Kathrin-Susann Brose die Bühne belebt. Belebt? Na klar! Es wird durch Züge aus dem Schnürboden ständig in neue Formen gebracht. So entsteht ein Wald, durch den die Liebespaare irren, eine Schlafgrotte für die Elfenkönigin Tytania – immer wieder neue spannende Orte, die unendlich viele Auf- und Abgänge ermöglichen. Eine Meisterleistung der Bühnentechniker, die sich zu Recht beim Schlussapplaus zeigen dürfen.
Und der Unterschied zwischen Traum und Wirklichkeit wird verwischt. Das gelingt Schulz als Grundkonstante permanent und konsequent gut – wie auch die wirklich komischen burlesken Handwerker-Szenen. Toll, wie genau einzelne Figuren gezeichnet werden. Aber Schulz hat auch ein wirklich gerade in Topform spielendes Ensemble zur Seite, das alle emotionalen Wechselspiele von totaler Verwirrung bis zur ausgelassenen Heiterkeit perfekt umsetzt.
Christian Jeubs Chor und auch der Kinderchor Alfred Schulze-Aulenkamps singen als Elfenschar nicht nur super, sondern sind in den Kostümen Renée Listerdals auch eine richtige Augenweide. Sie erinnern an ein munteres Bienenvolk und sind sehr individuell gezeichnet. Das gilt auch für die „Hauselfen“ Tytanias: Sina Jacka, Sion Choi, Katrin Stösel und Lisa Maria Laccisaglia.
Ein perfektes Team sind die Handwerker: Joachim G. Maaß, der überforderte „Regisseur“ Quince, Mark E. Murphy als wunderbar falsettiernde(r) „Thisbe“. Piotr Prochera und Willam Saetre sind genauso saukomisch als Mond und Wand wie Jacoub Eisa als tumber Löwe. Sehr präsent ist Urban Malmberg als röhrender Esel Bottom. Dong-Won Seo und Almuth Herbst als Theseus und Hippolyta haben als Paar nicht ganz zusammen gefunden. Sie will sich als besiegte Amazonenkönigin noch nicht in ihr Schicksal ergeben.
Cornel Frey lässt seinen wunderbar leichten, stets höhensicheren Tenor als Lysander sprühen, Michael Dahmen ist ein ganz kraftvoller Demetrius. Alfia Kamalova (Helena) ist stimmlich genauso in Hochform wie Anke Sieloff als Hermia. Ihr Zickenkrieg ist ein echtes Highlight. Das gilt vor allem aber für das Quartett der vier Liebenden zu Beginn des dritten Aktes – hier kann man die völlige Verwirrung hautnah erfahren.
Klaus Brantzen ist ein sehr lebendiger Puck, der mit seinem Eröffnungsmonolog direkt gefangen nimmt und herein führt in die Welt von Kobolden, Feen und Elfen. Deren Königspaar ist unauflöslich miteinander verbunden und träumt sich – wie die Menschen – doch hinein in ein anderes Leben. Allerdings profaner. Sie sehnen sexuelle Abwechslung herbei. Bele Kumberger ist eine zarte, fast zerbrechlich wirkende Tytania, die aber dennoch festen Willen offenbart. Matthias Rexroth zeigt von Anfang an, wer der Chef im Ring ist, stattet den Oberon mit seinem ebenmäßigen, eindringlichen Countertenor aus und beweist stetige Bühnenpräsenz.
Mit Julia Jones und der Neuen Philharmonie Westfalen haben sich Partner gefunden, bei denen es absolut harmoniert. Wie die britische Gastdirigentin Brittens ebenso facetten- wie anspielungsreiche Partitur entfaltet, wie sie Bühne und Graben harmonisiert, das ist einfach perfekt.
Michael Schulz gelingt mit A Midsummer Night’s Dream ein wunderbar leiser, komischer und dennoch auch wehmütiger Opernabend. Im wahrsten Sinne des Wortes: bezaubernd.