Ein schwuler Papst?
Dass die Oper Bonn zu Beginn der Spielzeit Wagners Holländer szenisch massiv in den Sand setzte, kann schon wegen weiterhin geplanter Aufführungen kaum vergessen sein. Aber jetzt liefert sie die brillante Produktion des relativ selten gespielten Benvenuto Cellini von Hector Berlioz (Übernahme aus Nürnberg, 2008). Von den wenigen jüngeren Inszenierungen im Raum Nordrhein-Westfalen, welchen der Rezensent regelmäßig wahrnimmt, ist die von Gelsenkirchen (2004) hervorzuheben, weil sie die ursprüngliche Dialogfassung benutzte (in deutscher Übersetzung). Im Gegensatz zu Bizets Carmen wäre das Berlioz-Original für ein hiesiges Publikum wohl kaum goutierbar, die Rezitativ-Fassung lässt immerhin Übertitel zu, welche für Zuschauer hilfreich sind.
Mit Benvenuto Cellini verabschiedet sich Stefan Blunier (aus Grimm gegen die derzeitigen finanziellen Verhältnisse) als Bonns GMD, als welcher er acht Jahre lang fungierte. Ein gravierender Verlust. Der Schweizer beweist jetzt noch einmal seine enorm autoritative Hand. Die Ouvertüre spielt das Beethoven Orchester zwar noch etwas ruppig, aber später glättet sich der Klang, ohne an rhythmischer Verve und Biss zu verlieren. Ein Höhepunkt dirigiertechnisch exakter Lenkung ist die große Karnevalsszene, bei welcher auch der Chor (Marco Medved) Außerordentliches leistet. Dank der Regisseurin Laura Scozzi darf er auch einsatzreich spielen, was ihm beim Holländer verwehrt wurde. Die Mitwirkung einer Tanztruppe zeigt, dass Laura Scozzi vom Ballett herkommt, was sie zunächst etwas ausgiebig demonstriert, dann aber köstlich ironisch ins allgemeine Geschehen zu integrieren weiß. Besonders witzig gerät dann noch die alpenidyllische Bebilderung von Cellinis Arie im 2. Akt
In die Musik von Berlioz kann man sich verlieben. Doch wird nicht jeder dazu in der Lage sein, jedenfalls nicht auf Anhieb. Allzu rabiat verfährt der Komponist gegenüber romantischen Hörgewohnheiten. Die Radikalität seiner Musiksprache wird unter Bluniers Stabführung feuerfunkelnd erlebbar. Diesmal hatte das meist etwas lähmend wohlwollende Bonner (Premieren-)Publikum also recht: es ließ sich überwältigen und feierte die Ausführenden ausgiebig.
Der selbstbewusste Renaissance-Bildhauer Cellini und der exzentrische, geniale Komponist Berlioz waren wesensverwandt. Völlig hingegeben ihrem Schaffen, manövrierten sie sich in die Rolle von Außenseitern, mussten sich immer wieder kämpferisch gegen Indolenz und Vorurteile behaupten. Auf dem T-Shirt des Bonner Cellini und seiner Entourage ist der Satz zu lesen „Live fast, die young“ (Kostüme: Jean Jacques Delmotte). Das ist eine moderne Analogie zur Lebensauffassung dieser beiden Künstler: vorwärts stürmend, radikal, kompromisslos.
Entsprechend heutig ist auch die Bühne von Barbara de Limburg entworfen, zunächst etwas nüchtern neutral. Wirklich optischen Witz entwickelt die Szene in Cellinis Werkstatt. Da sieht man Statuen und Plastiken der Vergangenheit (z.B. Michelangelos David), aber auch Versatzstücke der Moderne (z.B. Niki de Saint Phalle). Wenn all diese Objekte am Ende zur „Goldschmelze“ getragen werden, ergibt das einen turbulenten Inszenierungseffekt.
Wie passt der Papst-Auftritt, ein nicht eliminierbares Relikt von Opernszene, in dieses neue Milieu? Die Regisseurin löst die Herausforderung auf herrlich kokette Weise. Rolf Broman (bassmächtig), trägt zwar eine Mitra, aber sie wirkt mehr als theatralisches Dekor denn als religiöses Attribut. Und sein eindeutig schwules Gefolge lässt an der eigenen sexuellen Orientierung keinen Zweifel. Im Finale schnappt sich Clemens VII. denn auch einen hübschen Knaben. Das führte zu einigen einsamen Buhs im vehementen Schlussapplaus. Aber bitte, es handelt sich um keine persönliche Anspielung. Wer aber, angeregt durch diese Figurenzeichnung, klerikales (Fehl-)Verhalten zu hinterfragen willens ist, sollte mitnichten daran gehindert sein.
Neben dem außerordentlichen Stefan Blunier sind zwei Sänger auf das Siegerpodest des Abends zu hieven. Die Russin Anna Princeva (Teresa) gibt sonnenleuchtende Soprantöne von sich und spielt lustvoll ein impulsives Mädchengeschöpf von heute. Mirko Roschkowski in der Titelpartie verbindet leichtfüßige (aber fraglos kräftezehrende) Darstellung mit ebenso mühelosem Gesang, bei dessen irisierenden und strahlenden Höhenflügen man ruhig in Richtung Pavarotti denken darf. Dieses Rollenporträt macht schier atemlos. Der Cellini-Sänger in Köln wird es nicht leicht haben, vokal Schritt zu halten, wenn das Werk Mitte des Monats auch in der Domstadt heraus kommt.
Voll auf ihren Partien liegen auch Marta Wryk (ein cherubinhaft viriler Ascanio), Csaba Szegedi (als tumber Fieramosca, der baritonal gleichwohl auftrumpft) und Martin Tzonev (auch als Balducci wieder ein Theatervollblut). Ein glorioser Abend der Bonner Oper.