La Traviata im Dortmund, Oper

Entdeckung eines Baritons

Schlangen an der Kasse und ein zuletzt vollbesetztes Haus zeigten bei der Premiere, welche Popularität Verdis Traviata nach wie vor genießt. Der rauschende Schlussbeifall kam also nicht überraschend, auch wenn ihn nicht jeder als in toto gerechtfertigt empfunden haben dürfte. Etwa bezüglich des Dirigenten Monotori Kobayashi. Man hört, dass der Japaner den Puls von Verdis Musik mit Sensibilität aufnimmt. Das emotional Fragile in Verdis Traviata-Partitur vermag er mit den Dortmunder Philharmonikern indes nur bedingt zu vermitteln, manche Klangwirkungen bleiben an der Oberfläche, Rhythmisches klingt häufig vage.

Für die Inszenierung wurde Tina Lanik engagiert, die in Dortmund ihre zweite Operninszenierung (nach Bellinis Somnambula in Frankfurt) präsentiert. Reverenzen aus dem hauptamtlichen Schauspielbereich lesen sich durchaus imponierend, die Karrierestationen Berlin, Bochum, Hamburg, München, Stuttgart, Zürich u.a. lassen auch die Belobigungen über das Operndebüt triftig erscheinen. Ob eine extrem gegenläufige Stimme („alles Pose, nichts Position“) mehr im Recht ist, lässt sich ohne Kenntnis dieser Aufführung natürlich nicht entscheiden. Die Dortmunder Traviata enthält allerdings manch Zwiespältiges. Kluges und Erhellendes enthält der emanzipatorisch angehauchte Programmheftbeitrag der Regisseurin. Doch wie häufig auch anderswo besteht zwischen Absicht und Realisation eine Kluft.

Zunächst aber sollte das Bühnenbild von Stefan Hageneier positiv hervorgehoben werden. Es zeigt einen im Prinzip gleich bleibenden, hohen Raum, welcher durch Pilaster strukturiert ist. Wenige Veränderungen (etwa durch herab gleitende neue Außenwände) genügen, um ihn atmosphärisch neu zu definieren. Das Kaminfeuerchen in den letzten Bildern freilich ist entbehrlich, einen möglicherweise intendierten Symbolwert vermittelt es nicht. Die Kostüme sind heutig, beim Chor gibt es viel schwarze Tüll-Erotik. Der Umgang mit dem Sängerkollektiv ist übrigens ein definitiver Schwachpunkt der Regie. Man könnte das mit einem Satz beschreiben, der über Bellinis Somnambula zu lesen war: „Alles bewegt sich wie auf einer wie mit dem Lineal gezogenen Linie hin, man nennt sie auch Rampe.“ Ganz so bissig möchte man es für Dortmund dann doch nicht formulieren, aber speziell der simpel gestellte Auftritt der Zigeunerinnen und Matadore (samt Finale III) ist ein ziemlich wundes Kapitel.

Der Aufführungsbeginn wirkt grandios. Noch vor Musikbeginn sieht man von Violettas Lager einen nackten Mann aufstehen, ein Kunde, der sich grußlos verflüchtigt. Der Raum ist mit Flaschen und Gläsern übersät, Gegenstände eines Genusslebens, die freilich auch von seelischer Verarmung künden. Zum sphärischen Vorspiel spielt Violetta dann ihre wirkliche, schmerztrunkene Befindlichkeit aus. Dann strömen Gäste herein. Aus ihrer Schar erhebt sich Violetta wie der Phönix aus der Asche. Wenn sie dann aber zusammenbricht (blitzende Fotoapparate halten diesen Augenblick gierig fest), ändert sich die Haltung der Gesellschaft abrupt. Eine (wie auch immer geartete) Sympathie schlägt um in Verachtung, gemischt mit handgreiflicher Brutalität. Gut überlegt, aber psychologisch nicht ganz stimmig. Das gilt auch für andere Momente. Dass Germont père Violetta am Schluss ihres großen Duetts an die Wäsche geht, mag als Entlarvung falscher Bonhomie gedacht sein, verträgt sich aber nicht mit dem musikalisch beglaubigten patriarchalischen Ethos der Figur. Im Finalbild darf sich das Liebespaar auch nach so langer Zeit der Trennung nicht umarmen; Doktor Grenvil fordert von Annina nicht nur gierig Geld ein, sondern verkrümelt sich sogar noch kurz vor Schluss. Auch sonst gibt es in Tina Laniks prinzipiell sorgsam überlegter Inszenierung etliche Schönheitsfehler.

Beim Sängerensemble sind die Nebenfiguren angemessen besetzt: Natascha Valentin (Flora), Christine Groeneveld (Annina), Morgan Moody (d’Obigny), Marvin Zobel (Douphol), Ian Sidden (Grenvil). Xiaoke Hu bietet, als Gaston sehr lebendig spielend, allerdings reichlich schneidenden Gesang. Der Rumäne Ovidiu Purcel, nach Jahren im Opernstudio nun zum Ensemble der Deutschen Oper am Rhein gehörend, verfügt über einen geschmackvoll geführten, höhensicheren Tenor, den man einstweilen aber noch mehr dem Rossini-Fach zuschlagen möchte. Auch das Milchbubengesicht des Sängers setzt Grenzen zur Figur des Alfredo. In toto aber Respekt. Eleonore Marguerre verwöhnt in der Titelpartie u.a. mit zärtlichen Piani, nicht zuletzt in der Höhe. Das leicht verfehlte hohe Es am Ende ihrer großen Arie signalisiert jedoch, dass ihr früheres reines Koloraturfach nun wohl langsam in ein anderes mündet. Sensationell der Germont von Sangmin Lee. Der Südkoreaner bietet einen eminent maskulinen Belcanto-Bariton von verschwenderischer Kraft, bei respektvoller Berücksichtigung von Pianovorgaben.