Übrigens …

Die Liebe zu den drei Orangen im Essen, Aalto-Theater

Fruchtsaft als heilendes Medikament

Was macht einen wirklich gelungenen Theaterabend aus? Bietet ein Drama, eine Tragödie gar die höchste Erfüllung? Oder ist es doch eine Farce, ein Boulevardstück vielleicht? Darüber streitet das in Gruppen dividierte Publikum gleich zu Beginn. Doch was auch immer stimmt: im Aalto-Theater kommt jeder auf seine Kosten.

Denn Sergej Prokofjew nimmt in seiner Liebe zu den drei Orangen Elemente alle Gattungen auf. Nicht zu ernsthaft natürlich, immer mit einem Spritzer Ironie, einem Quäntchen Parodie und einem großen Teil Humor. So ist das Märchen vom hypochondrischen Prinzen, der von einer Hexe zur Liebe zu drei Orangen verflucht wird, eine einzige unglaublich kurzweilige Geschichte. Und das auch, weil schon der Komponist wusste, dass gegen Depressionen Südfrüchte die beste Medizin sind. Deshalb ist es eine Orange, der die für den Prinzen passende Gemahlin entspringt. Und so ist nach einigen finalen Wirrungen dann wirklich alles gut...

Jeder Skatspieler weiß, dass „Treff“ eine Spielkartenfarbe ist - und weil Prokofjews König so heißt, haben Laurent Pelly und Chantal Thomas die Szenerie und die Bühne ganz auf „Kreuz“ getrimmt. Schwarz-weiße Kostüme, Spielkartenvorder- und rückseiten beherrschen das Bild. Kartenschachteln formen das Bett des scheinbar kranken Prinzen, der Ofen der bösen Köchin ist daraus gemacht und selbst auf dem Plastikthron erscheint das Kartensymbol.

In diesem Ambiente erzählt Laurent Pelly Prokofjews Geschichte ungemein stringent und temporeich. Seine Inszenierung von Offenbachs La Belle Hélène, die in Zusammenarbeit mit Marc Minkowsky entstand, ist längst Kult. Und auch in der Liebe zu den drei Orangen beweist er in Zusammenarbeit mit seiner Choreografin Laura Scozzi viel Gespür für schöne Bilder – gerade in den von Prokofjew balletthaft angelegten Szenen. Das macht beim Zuschauen einfach unheimlich viel Spaß.

Den gibt es auch beim Hören. Im sehr personalintensiven Stück lassen die Herren mit den tiefen Stimmen aufhorchen: Bart Driessen – stimmlich wie szenisch absolut präsent – als unglücklich agierender Zauberer Tschelio, Baurzhan Anderzhanov als fiese und eitle Köchin und – Primus inter Pares – Tijl Faveyts als expressiv agierender König Treff.

Da kann Alexey Sayapin als Prinz nicht ganz an Kraft mithalten, während Albrecht Kludszuweit als Truffaldino stimmliche Präsenz beweist und zudem ein wahres Feuerwerk an Spaß abbrennt. Bei den Damen wissen vor allem Telya Kashara als böse Fata Morgana und besonders Christina Clark mit scheinbar ewig junger Stimme als Ninetta zu überzeugen.

Yannis Pouspourikas und die Essener Philharmoniker transportieren Prokofjews so facetten- wie anspielungsreiche Partitur perfekt in den Zuschauerraum – großer Applaus!

Und: Ende gut, alles gut? Vielleicht nicht ganz. Denn die Essener Theatermacher müssen sich schon die eine oder andere Frage ob ihrer Programmgestaltung gefallen lassen. Dass Die Liebe zu den drei Orangen ein lohnendes Stück auf den Spielplänen ist, steht außer Frage. Aber warum holt man Pellys zehn Jahre alte Amsterdamer Inszenierung, die es längst auf BlueRay gibt, auf die Bühne des Aalto? Sinnvolle Koproduktionen in allen Ehren, aber so sieht ein überzeugendes Plädoyer für unsere Stadttheaterkultur mit ihrer Vielfalt und Fähigkeit zur Innovation nicht aus. Macht das, was die Essener da aufgetischt haben, Schule, werden wir in Zukunft in unseren Theatern in NRW überall die gleichen (im Idealfall erfolgversprechenden) Produktionen sehen. Und das würde die Theaterszene einfach nur „boring“ werden lassen. Wollen wir hoffen, dass sich andere Theater nicht von der Essener Intendanz „anstecken“ lassen.