Unter Dampf
Sie verorten sich in der Metternich-Zeit, wissen aber selbst nicht genau, wann sie eigentlich geboren wurden. Ihr augenzwinkernder Blick auf die deutsche Frühromantik geht einher mit der Fokussierung auf die beginnende Industrialisierung – Gehrock plus Schweißerbrille gehören zum symbolträchtigen Outfit. Und sie machen Musik, die sechs Herren, die sich als Band „Coppelius“ nennen, als Huldigung an eine Figur des Meisters der fantastischen Poesie, E.T.A. Hoffmann. Nichts bei ihnen klingt allerdings nach Spohr, Paganini oder Weber, alles hingegen nach Hardrock oder Metal. Schließlich handelt es sich bei der Gruppe um Vertreter des Steampunks.
Steampunk ist eine Bewegung. Sie frönt der Historisierung, genauer dem viktorianischen Zeitalter, was Mode und die Liebe zu dampfbetriebenen Maschinen angeht. Diverse Fans waren nun im Gelsenkirchener Musiktheater im Revier (MiR) zu bewundern, natürlich in angemessener Kleidung. Da tragen die Herren Anzug mit Weste, Fliege, darüber lange Mäntel, gelegentlich Zylinder. Die Damen wiederum flanieren in langen Kleidern oder Röcken, teils in Korsetts, fast immer mit einem Hütchen umher. Und natürlich dürfen niemals die Accessoires des technischen Fortschritts fehlen. Sie alle waren gekommen, um eben „Coppelius“ zu bejubeln, ihre Band, die hier beteiligt ist an der Uraufführung von Klein Zaches, genannt Zinnober.
Das Stück, nach der gleichnamigen Erzählung E.T.A. Hoffmanns, ist als Steampunk-Oper annonciert, entspricht in seiner Reizüberflutung einem riesenhaften Gesamtkunstwerk, das allen Märchenzauber preisgibt für eine monströse Bühnenschau. Der Witz indes ist, dass diese Frage, wie viel Zauber es noch in einer industrialisierten Welt gibt, thematisiert wird. Hinzu kommt, dass die Bandmitglieder in diverse Rollen (und entsprechende Kostüme) schlüpfen, zur Freude der johlenden Fans, und nicht nur eins ihrer Konzerte geben. Freilich: die schauspielerischen Fähigkeiten von „Coppelius“ halten sich in Grenzen. Ausgeglichen wird das Manko indes durch jede Menge Action.
Sei’s drum: Im Mittelpunkt dieses Spiels, komponiert von Thomas Rimes und Bandmitgliedern, dramaturgisch geformt und inszeniert von Sebastian Schwab, steht ohnehin der kleinwüchsige Rüdiger Frank als Klein Zaches. Wie ein menschliches Bündel rollt er sich anfangs zusammen – ein Kindchen, das nur Laute krächzen kann. Später jedoch, von einer Fee mit Zauberhaar bedacht, avanciert er zum Liebling der feinen Gesellschaft, entsprechend edel gekleidet. Eloquent macht er Candida, der Tochter des Professors Mosch Terpin, den Hof. Fast kommt es zur Hochzeit, doch der „Schwindel“ mit den Wunderhaaren fliegt auf. Letzthin finden der junge, schmachtende Student Balthasar und Candida zusammen.
Rüdiger Frank ist aber auch E.T.A. Hoffmann, der die Szenen wortreich verbindet. Vor allem aber empfiehlt er sich als Meister der Technik, als Magier des Fortschritts, der mit wenigen Handgriffen die Bühne gewissermaßen unter Dampf setzt. Der die von Britta Tönne erdachte Ausstattung herbeizaubert, die uns mit ihren Röhren und Zahnrädern, vor allem mit einem riesigen Turbinenkonstrukt in die industrielle Vergangenheit katapultiert. Und obenauf thront die Band, frenetisch bejubelt. Wir aber reiben uns die Augen. Hören Rock und Metal, sehen aber keine einzige E-Gitarre. Vielmehr Schlagzeug, zwei Klarinetten, Cello und Kontrabass. Markige Töne mit Klangfarbe. Und hinten dirigiert Thomas Rimes die Neue Philharmonie Westfalen in Großbesetzung. Eine außerordentliche Kombination.
Die Musik in ihrer Gesamtheit entpuppt sich freilich als ein Mixtum compositum der Stile. Opernhaftes wechselt mit den Klangeruptionen der Band, liedhafte Balladen klingen nach schlechtem Musical (kitschverdächtig), Zitate von Mozart, Tschaikowsky und Strauss sind eingewoben, anderes wirkt wie für den Film komponiert. Die Stimmen, auch die Ulrike Schwabs (Candida), sind ausnahmslos verstärkt. Deshalb sei hier auf eine Beurteilung verzichtet.
Als Fazit aber bleibt: Das MiR hat ein Experiment gewagt, das alle Steampunkfans beglückt, andere sicher nur bedingt begeistert. Einen solchen Farbtupfer ins Opernhausrepertoire zu bringen, ist legitim, aber kaum zukunftsweisend. Denn unter der Oberfläche der geballten akustischen, besonders aber optischen Reize fehlt es an Tiefe. „Ich will Lärm“ kreischt Klein Zaches ins Mikro, und die Band gibt alles. Wir aber genießen daheim die Ruhe.