Ohne Zentrum
Benvenuto Cellini ist, zumal in der in Köln gespielten ersten Version, eine monströse Rolle, lang und schwer wie die großen Meyerbeer- und Wagnerpartien. Und Ferdinand von Bothmer macht das, abgesehen von kleinen Problemen im Registerausgleich, eigentlich wunderbar, mit – für einen Tenor – ungewöhnlich samtigem Fundament, mit schlank kontrollierter, nie flackernder Höhe, der er manchmal reizvoll krähende Falsettnuancen beimischt. Trotzdem kann er einem Leid tun, denn er findet auf der Bühne jenseits des Gesanges nicht statt. Dabei ist er doch wirklich jemand für die Opernbühne, dieser Cellini. Maßloser Renaissance-Kraftmeier und Frauenverschlinger, gewissenloser Gelegenheitsmörder und vor Charme überfließendes, selbstverliebtes Künstlergenie. In Köln geht ein Opernsänger seine Gänge ab. Der, der sich selbst als Nabel der Welt betrachtet, der sogar, ohne nachzudenken, dem Papst widerspricht, darf nicht im Mittelpunkt stehen!
Weil der katalanische Performer-Haufen „La Fura dels Baus“ sich für Menschen und ihre Geschichten nicht wirklich interessiert. Ihnen geht es um Bildwelten und –erfindungen, mal spektakulär, mal eigenwillig, am liebsten beides. Sie erzählen keine Stücke, sie beuten deren Umfeld aus für die eigene kreative Hervorbringung. Und bei Benvenuto Cellini geht es dem Regisseur Carlus Padrissa und seinen Kollegen eben nicht um den Künstler, sondern – wenn überhaupt – um die Kunst an sich. Um ihre Funktionalisierung, ihre Kommerzialisierung, etwa als Design, ihre Käuflichkeit. Davon künden Embleme: Teresas leere Krinoline oder der große Kopf, der an Damien Hirsts Diamantenschädel erinnert. Drauf gesetzt wird das Spektakel. Immer wieder fliegen schöne junge Menschen an Seilen elegant und komplex durch die Luft. Schon in der Ouvertüre werden sie als Cellinis Kreativkräfte etabliert, aber sie beenden auch das Theatertableau als rätselhafte Quallenwesen, kriechen als Elementarkräfte durch Plastikschläuche und bauen aus Schaumstoffteilen nach Bauplan das riesige 3-D-Puzzle zusammen, das hier die Gießform der berühmten Perseus-Statue darstellen soll.
Und die Geschichte. Wenn Teresa zu Beginn ihrem Vater begegnet, deutet keine theatralische Komponente auf familiäre Vertrautheit hin. Wer sich nicht vorbereitet hat oder gerne Übertitel liest, ist bereits hier verloren. Ein Chor kommt, singt und geht wieder. Dass der Gesang Teresa gilt, sagen nur die französischen Worte und die Musik, mitnichten die theatralische Aktion. So geht es weiter. Die Bilder faszinieren, geben aber nie Orientierung.
Und das hätte geholfen. Weil der Zuschauer sich ja auch erstmal im Staatenhaus, dem neuen Interimsquartier des arg gebeutelten Hauses zurecht finden muss. Hier gibt es keinen Schnürboden. Bühnenelemente werden von der Seite hereingerollt, -geschoben oder -gezogen. Immer läuft einer durchs Bild, zieht Kabel oder trägt etwas weg. Und die nicht erzählte Geschichte ist ohne Identifikationsfigur mit Reibungspotenzial einfach grässlich uninteressant. Dazu hat man, wie erwähnt, die Urfassung gewählt, also fast 3½ Stunden Musik. Außergewöhnlich, eigenwillig. Hervorragend einstudiert. François-Xavier Roth hat mit dem Gürzenich-Orchester eine staunenswert nuancierte Farbpalette gefunden, alles sitzt, schwingt im Gleichgewicht. Es wird flüssig gesteigert, elegant retardiert. Aber das Grelle, Ausufernde, der theatralische Funken bleibt manchmal aus. Vielleicht auch, weil das Orchester hinter der Spielfläche sitzt. Einen Orchestergraben hat das Staatenhaus natürlich gleichfalls nicht.
Gesungen wird durch die Bank hervorragend, vom Chor über die kleinen Rollen bis hin zum Titelhelden. Emily Hindrichs versieht Cellinis Herzensdame mit schlankem, wächsern überglänzten, sehr souveränem Sopran-Parfum, Katrin Wundsam zeichnet den Lehrling Ascanio – von der Regie in diesem Fall beglaubigt! – mit nahezu verführerischer weiblicher Eleganz. Ein Prunkstück sind die tiefen Stimmen: der erzene Papst von Nikolay Didenko, der dunkel chargierende, allzeit die Bühne, wenn auch nicht immer jede Note beherrschende Balducci von Vincent Le Texier und vor allem der lockere, präsente und virtuose Nikolay Borchev, der Cellinis Gegenspieler Fieramosca sicher durch viele Bariton-Höhenflüge geleitet. Allein: was hilft’s?