Die Übertitel spielen mit
Am Schluss stand das Haus Kopf. Wohl noch nie ist am Theater Krefeld/Mönchengladbach über eine Aufführung ein solcher Jubelsturm herein gebrochen wie jetzt bei Rossinis Barbier. Euphorie im Zuschauersaal war schon vorher spürbar und kulminierte noch vor dem Finale bei einer zusätzlichen Almaviva-Nummer, über die sich das Programmheft übrigens ausschweigt. Es dürfte sich aber um „Cassa di più resistere“ handeln. Diese Arie hat Rossini für den Tenor Manuel Garcia geschrieben, der sie aber offenbar nie gesungen hat. Teile von ihr gingen in Cenerentolas „Nacqui all‘affanno“ ein. Welch ein glücklicher Mensch er durch seine Verbindung mit Rosina doch sei, lässt Almaviva mit waghalsigen Koloraturen wissen. Levy Sekgapane wiederum dürfte über seinen Erfolg beim Publikum glücklich sein, welches ihn in der Premiere feierte wie einen Popstar. Den jungen farbigen Südafrikaner hat Kobie van Rensburg, sein Gesangslehrer und selber Südafrikaner, mit ins Krefelder Ensemble gebracht. Ab 2015/16 wird er dem Jungen Ensemble der Dresdner Semperoper angehören. Für den Almaviva besitzt er die geforderte Agilität des „canto fiorito“ und bewältigt hohe und höchste Töne wie nichts (irgendwann einmal wird er sicher den Tonio in Donizettis Regimentstochter verkörpern). Noch klingt die Stimme etwas schmal, aber nicht unangenehm: Doch wäre es schön, wenn das Timbre auf Dauer eine größere Weichheit hinzu gewinnen würde. Wunderbar die Bühnenpräsenz des liebenswerten Sängers.
So flott und sprudelnd Andreas Fellner die Niederrheinischen Sinfoniker Rossinis quirlige Musik auch spielen lässt (bei leichten Schwachstellen hier und da): hohe Erwartungen waren vor allem auf den Regisseur gerichtet. Kobie van Rensburg dürfte seine Sängerkarriere inzwischen abgeschlossen haben, macht nunmehr andere Dinge – wie eben Regieführen. In Krefeld/ Mönchengladbach hat er bislang Mozarts Figaro und Giovanni herausgebracht und dabei mit seiner speziellen Videotechnik entzückt. Auch beim Barbier werden die sich aufblätternden oder auch schon mal zerstäubenden Übertitel ins Geschehen einbezogen, selbst wenn sie diesmal nicht so mäandernd über die Bühne flitzen wie bei den Mozart-Opern.
Ein wirkliches Szenenbild gibt es nicht mehr. Rensburg und Steven Koop lassen das Geschehen mit einer Livekamera einfangen, bei extremer Nähe der Sänger immer wieder auch in Großaufnahme. All das wird auf einen rückwärtigen, hoch hängenden Prospekt geworfen und mit Interieur- und Outdoor-Bildern nach dem Prinzip des Prager Schwarzen Theaters gemischt. Das ergibt witzige Verdoppelungen des realen Bühnenspiels. Manchmal könnte man ein Zuviel des Guten empfinden, etwa gleich bei der Ouvertüre, die dazu dient, Rossini höchstpersönlich in kulinarische Aktion treten zu lassen. Die Titeleinblendungen von Aureliano in Palmira und Elisabetta d’Inghilterra zeigen bei dieser Gelegenheit andererseits, dass hinter all den Verrücktheiten eine profunde Werkkenntnis steckt: die Ouvertüren sind nämlich komplett identisch.
Wie bereits angemerkt: in Kobie van Rensburgs Inszenierung bleiben Aktion und Zeit niemals stehen, und die Übertitel sorgen für ständigen Wirbel. Man sollte sie auch bei Kenntnis des Geschehens unbedingt verfolgen, denn sie übersetzen den Librettotext in eine flotte Young-Generation-Sprache. Es fallen Worte wie Flachzange, Arschgeige oder auch Shitstorm. So kalauernd kann eine Regie sicher nicht bei jedem Werk verfahren. Dem Barbier jedoch wird nicht nur kein Schaden zugefügt, sondern er profitiert von all diesen Keckheiten.
Im Übrigen sind andere Barbier-Inszenierungen in jüngerer Zeit ähnlich flott verfahren, etwa die von Philipp Himmelmann 2013 in Bonn oder jüngst die von Axel Köhler in Graz. Der ehemalige Counter beweist wie auch Rensburg (oder - bei Cenerentola gerade wieder - Brigitte Fassbaender), dass eine verdienstvolle Sängerkarriere eine nicht minder imponierende Fortsetzung erfahren kann. Wenn das Theater Krefeld/Mönchengladbach weitere Pläne mit Kobie van Rensburg haben sollte (was zu wünschen wäre), sollte man dem Regisseur aber auch mal Gelegenheit zu einer „ernsten“ Oper geben.
Dass die Partie der Rosina nicht historisch streng mit einem Mezzo besetzt ist, rechtfertigt Rensburgs gänzlich unakademische Arbeit durchaus. Sophie Witte macht mit ihrem glasglockenklaren, beweglichen und höhensicheren Sopran einen anderen, aber trefflichen Typ aus dem Rossini-Girl. Schlank und fesch sieht sie auch noch aus. Dies gilt auch für Rafael Bruck in der Titelpartie. Ein köstlicher Hallodri, der seine (vermutlich mit „Figaros geilem Gel“ gepflegte) Schmachtlocke sorgsam in Schuss hält, gelenkig als Darsteller, baritonal unbeschwert (bei leichter Anstrengung in extremer Höhenlage). Aus dem Basilio macht Andrew Nolen einen schwarz-priesterlichen Dämon und lässt dabei seine virile Stimme schon mal ironisierend in Kellerbereiche abdriften. Der bewährte, vielseitige Hayk Dèinyan gibt den Bartolo reichlich bekloppt, um es im Jargon der Übertitel zu formulieren. Last not least: Debra Hays, als Soubrette und lyrischer Sopran seit 1991 zum Ensemble gehörend, spielte im Figaro die Marcellina und ist jetzt folgerichtig die Berta im Barbier. Ihre Arie serviert sie, im Arm eine Weinflasche aus der Klospülung, mit vitalem Despina-Charme und lässt sich ein paar zusätzliche Höhen-Staccati nicht entgehen.