Richtungslos kostbar
Ein schwieriges Stück. Ein einziger Dschungel von Andeutungen. Konkret ist hier kaum etwas. Die Handlung besteht nur aus Umrissen und Weggabelungen. Die Figuren sind namenlos, werden nur nach ihrer Funktion innerhalb der Familie benannt. Dabei gibt es durchaus Zeitnähe im Stoff. Waffenhändler ist der Vater, Fernsehstar die zwei Töchter. Aber das taugt nur, um Szenen, um Bewegungen auszulösen. Es gibt keine Richtung vor. Das tut auch die Musik nicht. Sie scheint sich an und in den Text zu schmiegen, antwortet, illustriert, gibt auch mal Feedback, will aber nicht bedeuten und bedeutet auch nicht. Man hört besondere Klangfarben – Klavier, Akkordeon, ausgefallenes Schlagwerk, solistische Streicher. Meistens solistisch oder transparent, selten geballt, und dann etwas grob.
Au Monde ist eine echte Aufgabe für Regieteam, Dirigent und Solisten. Das Aachener Theater hat sie im Rahmen der Deutschen Erstaufführung gut bestanden. Auch wenn Ewa Teilmans das vor sich hin wabernde Stück nicht wirklich in den Griff bekommt. Sie setzt auf Konzentration und hat sich dafür von Oliver Brendel einen gewaltigen Karton hinstellen lassen, ein fugenloses Familienzimmer, immer wieder neu spärlich möbliert, mit verschiebbaren Wänden und multiplen Öffnungen, aber ohne wirklichen Ausweg. Ori, der einzige Benamte kommt nach Hause, nach langer Abwesenheit. Er hat seine Militärkarriere aufgegeben und möchte jetzt etwas „Sinnvolles“ machen. Dazu ist er von einem Nebel von Fingerzeigen umgeben. Vielleicht ist er ein Frauenmörder, vielleicht hat er eine Affäre mit seiner ältesten Schwester, vielleicht – wohl eine Zutat der Regisseurin – ist er pädophil. Sein Vater, der zunehmend das Gedächtnis verliert, adoptiert ein Mädchen anstelle der toten – oder verschwundenen - Tochter Phädra und beginnt etwas mit ihr. Was, ahnen wir nicht. Und alle wollen immer die zweite Tochter im Fernsehen sehen. Die einzige Chance, mal rauszugucken.
Die zeitkritischen und humoristischen Potenziale von Stoff und Stück vernachlässigt Teilmans zugunsten der Intensität des Moments, erhellt das Uneigentliche gleichsam mit einer Lichterkette. Das ist vielleicht nicht genug, aber das grandiose Ensemble sorgt dafür, dass man dabei bleibt. Sonor, entspannt und sehr präzise der Vater von Randall Jakobsh, überraschend spießig und skurril die schwangere älteste Tochter von Sanja Radisic, beide mit kostbaren Stimmen. Die adoptierte Tochter gibt Suzanne Jerosme mit federleichtem Stimmsitz und beunruhigender Verlorenheit. Kraftvoll und mit großer Pianokultur Hrólfur Saemundsson als erblindender, beängstigend lebensfremder Ori. Überwältigend Camille Schnoor als Fernsehstar-Tochter, die mit ihrem fein und vielfarbig austarierten Sopran die für Particia Petibon geschrieben Riesenpartie intensiv zum Leben erweckt. Gegen Ende rutscht ihr, wie dem Charaktertenor Johan Weigel als Mann der ältesten Tochter, die Stimme aus dem Mezzoforte mehrfach in höhere dynamische Bereiche ab. Hier müsste die zwei pausenlose Stunden lange Komposition nachgebessert werden. Sonst ist sie nicht zu leisten. Auch aus diesem Grund bekommt Justus Thorau die Klangbalance nicht immer perfekt hin, nimmt jedoch ein für die Geschlossenheit und den Farbenreichtum dieses postmodern poetischen Verwirrspieles.