Schmerzlich akzentuiertes Lustspiel
Die Bonner Oper scheint stark im Aufwind. Und wenn das angekündigte Repertoire (viele Raritäten) so plausibel realisiert wird wie zuletzt bei Benvenuto Cellini und nun bei Così fan tutte, darf das Haus mit einer Hochbilanz am Ende der Saison rechnen. Obwohl bei der Realisation der Mozart-Oper auch über den Dirigenten Hendrik Vestmann nachdrückliche Lobesworte auszusprechen sind, muss der Bericht mit dem Regisseur beginnen. Dietrich Hilsdorf hat in Bonn eine Fülle von Inszenierungen herausgebracht, wobei jene im Schauspielbereich nicht vergessen seien. Ob Hilsdorf jedoch derzeit überhaupt noch für das Sprechtheater arbeitet?
Zur Oper kam er 1981 durch den wunderbaren Gelsenkirchener Intendanten Claus Leininger. Er begann mit Eugen Onegin, einer Oper, bei der er vor einiger Zeit auch in Köln Regie führte (demnächst Wiederaufnahme), ohne sein früheres Konzept zu kopieren. Am Musiktheater im Revier ist er auch schon einmal Così fan tutte im Rahmen eines kleinen Mozart-Zyklus’ angegangen (1993). Die konzeptionelle Entscheidung, den Gesangspartien einzelne Instrumente zuzuordnen, führte dazu, dass Dieter Schönbach Mozarts Partitur auf ein Kammerensemble von sechs Instrumentalisten eindampfte, was durchwegs als Sakrileg empfunden wurde.
In Bonn spielt das Beethoven Orchester in voller Mozart-Stärke, doch Partitureingriffe gibt es auch hier. Die Chorpassagen sind komplett eliminiert, gestrichen ist auch Despinas Notar-Auftritt. So viel Tribut an zeitgebundene Komödieneffekte wollte Hilsdorf offenbar nicht zulassen. Der Arzt mit all seinen Quacksalbereien ist beibehalten, doch klärt Despina Fiordiligi und Dorabella über das Kasperlspiel auf – eine Pointe innerhalb des Geschlechterkampfes, den Alfonso und sie „aufklärerisch“ anheizen. Von der Identität Ferrandos und Guglielmos mit den „Albanern“ (die es als solche in Bonn nicht gibt – Hutverkleidung genügt) ist auch Despina überrascht. So wird sie selber quasi zu einem Frauen“opfer“, was freilich kein originärer Hilsdorf-Einfall ist.
Johannes Leiacker hatte seinerzeit die Gelsenkirchener Bühne in eine dekorative Villa am Fuße des Vesuvs verwandelt, der zum Schluss auch tatsächlich symbolhaft ausbrach. Der ausgedehnte – fast könnte man sagen – Palast von Dieter Richter in Bonn scheint einer Art Sommerfrische für die jungen Leute zu dienen, so wie es vor kurzem auch Jürgen Flimm in Berlin für das Figaro-Personal gehalten hat. Die frisch verliebten und verlobten Così-Paare möchten sich auf ihrem Weg ins Glück offenkundig so richtig etwas gönnen. Viel Geturtel gleich während der Ouvertüre. Das realistisch-historische Dekor entspricht Hilsdorfs veränderten ästhetischen Überzeugungen. Gab er sich früher im Optischen gerne radikal und umstürzlerisch (in Essen, einer anderen Hilsdorf-Hochburg, kann man das demnächst bei den Wiederaufnahmen von Fidelio und Aida studieren), arbeitet er heute visuell geschmeidiger und geradliniger, ohne es deswegen an intelligenter Stoffdurchdringung fehlen zu lassen. Er wäre eigentlich ein guter Mann für Bayreuth, macht in den nächsten Jahren aber schon den Ring an der Deutschen Oper am Rhein.
Längst hat man sich bei „klassischen“ Opern an moderne Kostüme gewöhnt, oft sogar mit Überzeugung. Aber ehrlich: wie wohl tut es den Augen, in ihnen auch mal wieder die vom Libretto intendierte Zeit abgebildet zu finden wie jetzt bei Renate Schmitzer in Bonn. Einem tiefenschärfenden Blick auf Stück und Handlung ist das ja nicht notwendigerweise abträglich.
Hilsdorf akzentuiert in Così die sich auflösenden Gefühle bei den Liebespaaren langsam, sukzessiv und damit besonders nachvollziehbar. Während der Ouvertüre ist die Welt noch in Ordnung, dann beginnt langsam der Zerfall, was mitunter von größeren rhetorischen Pausen akzentuiert wird. Der eine oder andere mag das als zu weit gegangen empfinden, aber der Zuwachs an Seeleneinblick ist groß. In diesem Zusammenhang ist lobend die Übertitelung zu erwähnen: Alltags-Deutsch mit viel Wortwitz. Allerdings besteht eine gewisse Gefahr der Ablenkung für die Augen.
Es ist faszinierend zu beobachten, wie Hilsdorf die über Kreuz neu entstehenden Liebesverhältnisse peu à peu crescendieren lässt. Die Konstellationen sind am Anfang noch keineswegs eindeutig. Die alten Zuordnungen lösen sich erst langsam auf, werden quasi „erlernt“, bis dann wirklich (vor allem seitens der Frauen) frische Leidenschaften entstehen. Das Finale zeigt die Situation des Schwankens. Die ehemaligen Paarbindungen werden im Grundriss zögerlich wiederhergestellt, aber Zweifel an einer emotional gesicherten Zukunft steht allen ins Gesicht geschrieben.
Der bereits erwähnte Hendrik Vestmann lässt einen straffen, klanglich leicht trockenen Mozart spielen, was man als Äquivalent zu den Ernüchterungen sehen könnte, die auf der Bühne bei den Liebenden immer mehr Platz greifen. Das Orchester ist vielleicht nicht jeder Detailforderung gewachsen, spielt aber doch sehr konzentriert, schlank und zielstrebig. Der Continuo-Cembalist scheint studiert zu haben, welch stimulierende Lebendigkeit hier stets ein René Jacobs anzubieten hat.
Bei Susanne Blattert ist Despina einem (hellen) Mezzo anvertraut, wie prominent schon bei Teresa Berganza oder Agnes Baltsa erlebt. Diese Besetzung ist zwar nicht zwingend, färbt die Rolle aber interessant. Susanne Blatterts Gesang verweigert sich jedenfalls erfreulich dem Klischee des „Kammerkätzchens“, unterstreicht die emanzipatorischen Konturen der Figur. Der Alfonso von Priit Volmer fügt sich darstellerisch überzeugend ins Hilsdorf-Konzept, der Stimme könnte Volumen und Autorität freilich noch zuwachsen. Giorgos Kanaris gibt den Guglielmo hingegen baritonal vollmundig und kraftvoll, Kathrin Leidig erfreut als Dorabella rundum mit ihrem schlanken Mezzo. Eine Erkältung kurz vor der Premiere war Sumi Hwang hier und da anzumerken, doch bewältigte sie die Fiordiligi mit großer Souveränität. In ihrem Gesang entsteht ein leidenschaftliches Porträt, bei welchem die Zerrissenheit einer Frauenseele auf wirklich beklemmende Weise erfahrbar wird. Auch Tamás Tarjányi wurde als möglicherweise noch etwas indisponiert angekündigt. Doch kann man „Un‘aura amorosa“ schöner singen als er an diesem Abend? Und ein vitaler Bühnenmensch ist er sowieso.